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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter
Autoren: Friedrich Ani
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nichts tun«, flüsterte Julika. Sie zog ihre Jacke an, steckte die Hand in die Innentasche und spürte den harten Widerstand der Pistole. »Ich hol uns zu essen«, sagte sie.
    »Geh nicht fort.«
    Auch als sie in den Regen hinaustrat und nach ein paar Metern die Tür zum Friseursalon öffnete, fiel ihr nicht ein, dass sie vergessen hatte die Wohnungstür abzusperren.
    »Sie können gleich einen Termin haben«, sagte die dünne Friseuse.
    »Morgen ist besser«, sagte Julika.
    Sie wollte die ursprüngliche Farbe ihrer Haare zurück, das dunkle Blond, das sie in Schwarz gefärbt hatte, weil sie überzeugt war, Schwarz passe perfekt zu ihrer Darstellung der allgemeinen Julika. Für Rico wollte sie echt aussehen. Außerdem musste sie den schwarzen Nagellack entfernen und sie machte sich auf die Suche nach einer Drogerie.
    »Da ist sie wieder!«, sagte der Mann auf dem Beifahrersitz.
    »Halt sie vom Haus weg, bis wir wieder draußen sind!«, sagte Juri, der hinter dem Lenkrad saß, in den Rückspiegel und schaltete die Musik der Daughters of Hatred aus. Der Mann auf der Rückbank steckte sein Butterflymesser ein, stieg aus und folgte Julika in großem Abstand.

36
    » W as machst du da?«, fragte Rico seinen Vater.
    »Das siehst du doch«, sagte Ronny Keel. »Ich verreise.«
    »Wohin denn?«
    »Nach Paraguay.«
    »Wo ist das?«
    »Drüben, auf der anderen Seite.«
    Das Schiff war aus Holz und sah aus, als würde es nicht einmal bis zum Meer gelangen, ohne auseinander zu brechen. Ronny schleppte Schachteln in verschiedenen Größen, wie solche, in denen man Hemden oder andere Kleidungsstücke verpackte, an Deck. Außerdem hatte Ricos Vater lange rote Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren, und einen Vollbart. Obwohl er völlig anders aussah als in Wirklichkeit, zumindest zu dem Zeitpunkt, als Rico ihn zum letzten Mal gesehen hatte, erkannte er ihn sofort wieder.
    »Fährst du allein?«, fragte Rico.
    »Sebastian fährt mit.«
    »Wer ist Sebastian.«
    »Mein bester Freund.«
    »Was machst du in Paraguay?«
    »Ich koche.«
    Da fiel Rico ein, dass sein Vater von Beruf Koch war, auch wenn er die ganze Zeit gedacht hatte, er habe einen anderen Beruf gelernt, er wusste nur nicht mehr, welchen.
    »Kannst du Paraguayisch?«
    »Nein«, sagte Ronny.
    Auf einem Schubkarren brachte er mehrere übereinander gestapelte Schachteln auf das Schiff, indem er den Karren über einen schrägen Holzsteg schob, der aussah wie eine Hühnerleiter.
    »Nimmst du die Mutti mit?«, fragte Rico.
    »Die ist doch tot«, sagte Ronny und kippte den Schubkarren um, und die Kartons verteilten sich auf dem Deck. Das hatte Rico vergessen. Natürlich war seine Mutter schon gestorben, aber er wusste nicht mehr, wann. Als er sich umdrehte, stand eine große Menschenmenge hinter ihm. Anscheinend warteten alle auf die Abfahrt des Schiffes, einige hatte Fähnchen in der Hand, andere trugen Militäruniformen und die Kinder Halstücher wie Pioniere. Rico freute sich, dass so viele Menschen gekommen waren, um seinen Vater zu verabschieden, er hätte nicht gedacht, dass sein Vater so beliebt war. Stolz wandte er sich wieder dem Schiff zu. In diesem Moment warf ein uralter Mann, den Rico vorher nicht bemerkt hatte, die Leine an Bord, und sein Vater fing sie auf. Jetzt trug sein Vater einen blauen Overall wie ein Automechaniker, und Rico fiel ein, dass er von Beruf eigentlich Schiffsbauer war und nicht Koch. Auch hatte er keine roten Haare mehr, sondern blonde, wie früher, kurz geschnitten, und einen Schnauzbart. Regungslos stand er an Deck. Rico wartete, ob er winkte oder ihm etwas zurief. Er überlegte, was er tun sollte. Dann erinnerte er sich an die vielen Leute in seinem Rücken und drehte sich um. Die Menge zerstreute sich bereits, ein paar Kinder schauten noch zum Schiff, aber sie trugen keine Halstücher mehr, nur schmutzige kurze Hosen, und machten gelangweilte Gesichter. Rico sah wieder zum Schiff. Es bewegte sich, obwohl es ein Segelschiff war und kein Wind blies. Rico kniff die Augen zusammen, vielleicht hatte das Schiff einen Motor. Er konnte keinen entdecken. Sein Vater hantierte an den Segeln, es sah aus, als würde er sich gut auskennen, als sei er ein erfahrener Seemann, dabei konnte er, wie Rico plötzlich einfiel, nicht schwimmen.
    Er riss den Mund auf, um seinem Vater etwas zuzurufen. Das Schiff entfernte sich immer weiter, und Rico war überzeugt, sein Vater würde nicht mehr zurückkehren. Jetzt hatte er also die Wohnung für sich allein.
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