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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter
Autoren: Friedrich Ani
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sagte sie. »Hier findet uns niemand. Bist du einverstanden?«
    Rico nickte.
    »Von jetzt an gehören wir nur noch uns«, sagte Julika.
    »Jeder sich selbst und gemeinsam uns beiden.«
    »Hm?«, sagte Rico. Vor Müdigkeit und Überdruss hatte er Kopfschmerzen. Und wenn er an das Kaufhaus dachte, würgte es ihn.
    »Aber ich gehör mehr dir als mir selbst, das musst du wissen«, sagte sie.
    »Ja«, sagte er. Dann spürte er wieder die Wunden im Gesicht und auf dem Kopf, er öffnete weit den Mund und sog die kalte Luft ein.
    Julika klingelte unter dem Schild, auf dem mit schwarzem Filzstift geschrieben der Name »Landau« stand. Der Summer ertönte. Julika ging als Erste ins Treppenhaus, wo es nach feuchten Wänden roch.
    »Sind sie das?«, fragte der Mann auf dem Beifahrersitz des Mercedes.
    »Ja«, sagte der Fahrer, der die Tür beobachtete, die hinter Rico zuschlug.
    Der Dritte schwieg und hauchte sein Butterflymesser an, dann rieb er es am Ärmel seines Mantels ab, als würde er es polieren.
    Nach der Begrüßung drückte ihr das Mädchen im schwarzen Parka einen Schlüssel in die Hand, an dem ein silbernes S hing.
    »Absperren, auch wenn du unten nur ne Milch holen gehst, immer absperren, bitte nicht vergessen, Jule«, sagte Sarin, deren modische Kleidung einen gewissen Gegensatz zu der heruntergekommenen Altbauwohnung darstellte. Außer dem Parka mit dem Joop!-Logo trug sie eine eng geschnittene violette Jeans und knöchelhohe Stiefel, deren Preis Rico auf mindestens fünfhundert Euro schätzte. Ihr schwarzer Lederrucksack glich denen, die Rico im Kaufhaus des Westens gesehen hatte, keiner unter siebenhundert Euro, wenn er sich nicht verschaut hatte.
    »Du siehst ja ganz schön strange aus«, sagte Sarin. Rico war es egal, dass sie ihn meinte.
    Julika wickelte ihren Schal vom Hals und zog die Daunenjacke aus. So schäbig die Wohnung auch wirkte, die Heizung schien gut zu funktionieren, wie die im Holzbungalow.
    »Rico braucht Schlaf«, sagte Julika.
    »Drüben steht eine Couch, die könnt ihr ausziehen«, sagte Sarin. »Nehmt euch, was ihr braucht. Im Kühlschrank sind noch ein paar Reste, ich ess meistens auswärts, zur Zeit jobb ich neben der Uni beim Sender, schreib Texte, entwickele Konzepte für neue Nachmittagsshows, erzähl ich dir alles heute Abend. Wird spät werden, sonst alles in Ordnung? Am Telefon klangst du ziemlich aufgeregt, wieso bist du nicht in der Schule, bist du raus? Das hab ich nicht ganz mitgekriegt. Ich bin froh, dass ich weg bin von dort. Machst du dieses Jahr Abitur?«
    »Nein«, sagte Julika. »Danke, dass wir hier bleiben dürfen, Sarin. Zwei Tage vielleicht, geht das?«
    »Kein Problem.«
    »Sag bitte niemandem, dass wir hier sind, niemandem!« Sarin warf Rico einen Blick zu und küsste Julika auf die Wange.
    »Wie du willst. Jetzt hau dich erst mal hin, ich hab fünf Zimmer, zwei stehen leer. Lang bleib ich hier nicht, ich will nach Mitte, bin grad am Suchen. Die Wohnung hier ist von einer Freundin, sie ist nach London gezogen, ich zahl genau zweihundertfünfzig Euro, da darf man nicht kritisch sein, ciao!« Im Hausflur drehte sie sich noch einmal um. »Und vergiss nicht abzusperren, wenn du weggehst, hier sind fiese Gestalten unterwegs. Supermarkt ist um die Ecke.« Sie klappte die Hand auf und zu wie ein Kind und stieg die breite Treppe hinunter.
    Trotz der fünf Zimmer und der großen Küche wirkte die Wohnung eng. Anscheinend hielt sich Sarin außer zum Schlafen selten hier auf. An der Wand hingen keine Bilder. Die Lampen waren nur notdürftig befestigt, Haken ragten aus den Decken. Außer der Couch, einem Breitwandfernseher und einem klapprigen Holztisch mit zwei Stühlen gab es im Wohnzimmer keine Möbel. Den Spiegel im Bad zierte eine bunte Lichterkette, und an der Innenseite der Tür prangte ein Filmplakat von »The Sixth Sense«. Auf dem runden, mit einer weinroten Plastikdecke überzogenen Tisch in der Küche standen eine Einpersonenespressokanne, eine schwarze Tasse und eine leere Vase, auf einem Brett neben der Spüle lag Schwarzbrot in Plastikfolie, daneben ein Messer. In der Küche waren wie in allen anderen Räumen die Fensterscheiben schmierig-grau. Rico hatte sich auf einen wackligen Stuhl am Küchentisch gesetzt.
    »So siehts also in Ostberlin aus«, sagte er.
    »Nicht überall«, sagte Julika.
    »Woher kennst du die Tussi?«
    »Sie heißt Sarin. Wir sind nebeneinander gesessen, bis ich durchgefallen bin. Ihre Eltern sind berühmte Journalisten.«
    »Kenn ich
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