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Gott-Poker (German Edition)

Gott-Poker (German Edition)

Titel: Gott-Poker (German Edition)
Autoren: Nora Scholz
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als Karl an der Seite ihres Krankenhausbettes verstummt war und seinen pochenden, schmerzenden Kopf auf Klaras Kissen gelegt hatte, »weißt du, warum ich Maria trotz allem nie wirklich böse sein kann?« Karl schüttelte schwach den Kopf, er versuchte etwas zu sagen, doch seine Kehle gab keinen Ton mehr her. Klara fing an es ihm zu erzählen, und er hörte ihr Flüstern in seinem Ohr, aber da war er schon eingeschlafen.
     
    »Ich war klein und allein«, flüsterte Klara. »Ich wohnte in der riesigen Villa meiner Großeltern am See, und weit und breit gab es niemanden, mit dem ich hätte sprechen können. Meine Mutter war gestorben, als ich noch ein Baby war, und mein Vater hatte mich mit in das Haus seiner Eltern genommen. Er war oft unterwegs, und wenn er zu Besuch kam, brachte er mir immer eine rosarote Plüschkatze mit. Jedes Mal die gleiche rosarote Plüschkatze. Irgendwann hatte ich über zwanzig rosarote Plüschkatzen, und es war peinvoll, sie immer ansehen zu müssen, denn ich war nicht sicher, ob mein Vater gar nicht bemerkte, dass er mir jedes Mal die gleiche Katze schenkte oder ob es irgendeine merkwürdige Absicht von ihm war.
    Ich versteckte die alten Katzen unter dem Bett und ließ nur die jeweils neueste Version auf dem Fensterbrett sitzen. Manchmal holte ich die Stoffti ere hervor und untersuchte sie. Ich baute Burgen aus ihnen, bis sie zu einem Haufen zusammenbrachen und wild durcheinander kullerten. Ab und zu schlich ich in die Küche, holte ein scharfes Messer, sperrte mich in meinem Zimmer ein und schlitzte eine der Katzen auf, so sehr wünschte ich mir, mein Vater hätte mir irgendeine Botschaft darin versteckt, hätte sich irgendetwas dabei gedacht. Die Innereien der aufgeschnittenen Katzen wiesen jedoch nur gelbliche Watte auf; keine Geheimnisse. Der rosa Flaum, der an der Klinge des Messers hängen blieb, erinnerte mich an Blut, und ich fühlte mich wie ein Mörder. Ich holte Nadel und Faden aus dem Nähkorb im Dienstmädchenzimmer und nähte die Katzen sorgfältig wieder zu.
     
    Nach dem Frühstück besuchte ich manchmal meinen Großvater in seinem Zimmer. Ich malte und zeichnete und ließ mir von ihm seine Schmetterlinge zeigen, die in Glaskästen an der Wand hingen, und mir seine alten Grammophonplatten vorspielen. Um die Mittagszeit ging ich hinaus in den Garten. Manchmal badete ich im See oder schaute dem Gärtner zu, wie er die Rosenrabatten zurechtstutzte, die Erde düngte und wässerte. Ich bewunderte die faltigen, rauen Hände des Gärtners, und wie er mit diesen rauen Händen so zärtlich die Gartenschere hielt. Er pfiff immer vor sich hin, eine schöne, ruhige Melodie, und während er pfiff, vollbrachte er kleine Kunstwerke an den Rosensträuchern. Wenn meine Großmutter auf die Terrasse trat und mich zum Mittagessen hineinrief, lief ich ins Haus, wusch mir die Hände und nahm an der Tafel im Esszimmer Platz. Mein Großvater pflegte im Bett zu essen, und so war der Tisch nur für meine Großmutter und mich gedeckt. Sie saß am anderen Ende des Tisches, nicht am Kopfende, denn das war Großvaters Platz, sondern eins daneben, und für mich war der Platz ihr diagonal gegenüber gedeckt, die Tafel war lang, und so konnte ich sie nicht einmal ansehen beim Essen. Während des Essens war das Sprechen verboten, aber nach dem letzten Gang trug meine Großmutter Rosie, der Köchin, auf, noch eine heiße Schokolade und einen Kaffee in die Bibliothek zu bringen, und Großmutter und ich erhoben uns und gingen hinüber in die Bibliothek, wo Rosie die Tassen auf den Tisch zwischen den alten Sesseln stellte und meine Großmutter fragte, welches Buch sie wünsche. Meine Großmutter wählte jedes Mal irgendein anderes Buch, ich kann mich nicht erinnern, dass sie mir jemals ein Buch von Anfang bis Ende vorgelesen hätte. Sie schlug das gewünschte Buch irgendwo in der Mitte auf und begann zu lesen, mit ihrer ruhigen, sonoren Stimme, und ich versuchte ihr zuzuhören, aber meistens begriff ich nicht, um was es ging. Ich trank die heiße Schokolade, an der ich mir immer die Zunge verbrannte, zappelte mit den Beinen und beobachtete die Gewichte der alten Standuhr, wie sie leise hin und her pendelten.
    Eines Tages kam Maria«, flüsterte Klara. »Ich war draußen im Rosengarten und der Gärtner war in einem der Gewächshäuser verschwunden, als ich hi nter mir ein leises Pfeifen hörte. Ich dachte erst, das wäre der Gärtner, aber das Pfeifen war dünn und viel zu hoch und ganz falsch, und ich drehte
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