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Gott-Poker (German Edition)

Gott-Poker (German Edition)

Titel: Gott-Poker (German Edition)
Autoren: Nora Scholz
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Großvater damit die Pfeife an. Er blies einige Rauchwolken in die Luft. Er hustete.
    ›Großmutter sagt, du sollst nicht rauchen‹, sagte ich. Großvater brummte.
    ›Die Schönheit ist vergänglich‹, sagte er dann. ›Wie das Leben. Das Leben kann man nicht retten, aber die Schönheit schon. Das Leben mussten sie lassen, aber das hätten sie früher oder später sowieso lassen müssen. Und so konnte ich wenigstens ihre Schönheit retten.‹
    Maria sah ins Feuer.
    ›Ihr seid ja zwei skandalöse junge Damen‹, sagte mein Großvater vergnügt. Ich wusste nicht, was skandalös heißt, aber es klang wie ein Kompliment.
     
    Bis heute kommt es mir so vor, als hätte mein Leben an jenem Tag erst angefangen, als ich mit Maria auf den Polstern vor Großvaters Kamin saß und er uns skandalös nannte.
    Von da an kam Maria jeden Tag. Wir ruderten mit dem Boot auf den See hinaus und rutschten von der Rutsche, die der Gärtner uns im Garten aufgestellt hatte. Eines Tages blieb ich vor der Rutsche im Sand liegen, Maria landete auf mir, es tat weh. Ich wollte sie beißen, mich in ihr verbeißen, damit sie nicht einfach aufstehen und weggehen konnte, doch sie ra ppelte sich hoch und verschwand durch das Tor in ihrem Garten. ›Bis morgen‹, sagte sie, und ich quälte mich die ganze Nacht und dachte, sie käme nicht wieder. Doch am nächsten Tag stand sie wieder vor der Tür, es war gar nichts passiert. Es wurde Sommer, und im Herbst sollte die Schule anfangen. Maria war schon in der Schule gewesen, sie würde in die zweite Klasse gehen und ich in die erste.
    Wir lagen unten am See im Gras herum und sie brachte mir die Buchstaben bei.
    ›Das musst du können‹, sagte sie. ›Ohne Buchstaben ist man ein Nichts.‹
    Ich wollte kein Nichts sein, und es war einer der großartigsten Momente, als ich das erste Mal den Zusammenhang zwischen den Buchstaben erkennen konnte und ein Wort lesen. Dann einen Satz, und schließlich ein ganzes Buch. Bevor der Sommer zu Ende ging, hatten wir gemeinsam eines von Marias Büchern gelesen. Es war die Geschichte von Mio und JumJum, die den bösen Ritter Kato besiegen, den herzlosen Herrscher des Landes Außerhalb. Der den Menschen mit einer Eisenklaue das Herz aus der Brust reißt. Wir lagen in unserem Garten am See und lasen es wieder und wieder, das Buch, wir zitterten mit Mio, wenn er unsichtbar war weil er einen Ma ntel aus Märchen gewebt bekommen hatte, wir wünschten uns ins Land der Ferne und trommelten mit den Beinen auf das trockene Gras und lasen gemeinsam und laut im Chor: ›Besser man spricht seinen Namen nicht aus. Wenn man das tut welken die Blätter ...‹«
     
     
    Gegen die schwarz verspiegelte Scheibe des Krankenhausfensters schlug ein Ast, und Klara, die die letzten Worte schon beinahe im Traum gemurmelt hatte, fuhr hoch.
    »Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal ges ehen haben?«, flüsterte sie, »du warst... Karl?« Sie fasste ihn an der Schulter. Er seufzte im Schlaf. »Ich hätte wissen können, dass du sofort einschläfst, wenn ich dir mal was von mir erzähle«, sagte Klara mit lauter Stimme, doch Karl wachte nicht auf. Klara trank einen Schluck Wasser aus der Karaffe und nahm ein Eukalyptusbonbon aus der Schachtel auf ihrem Nachttisch. Das Schlucken schmerzte vom vielen Flüstern, und Klara legte den Kopf zurück aufs Kissen. Das scharfe Bonbon trieb ihr die Tränen in die Augen, und sie starrte lange das schemenhaft erkennbare Viereck des Fensters an, vor dem die schwarzen Schatten der vom Wind gepeitschten Äste einen wilden Tanz aufführten.
    Sie erwachte, weil jemand an ihrer Schulter rütte lte. Klara öffnete die Augen. Die Sonne schien grell in das weiße Krankenhauszimmer, und sie musste die Augen zusammenkneifen, um den fremden Mann erkennen zu können, der neben ihr stand. Er legte den Finger auf Lippen und bedeutete Klara, sie solle Karl, der in einer sehr unbequem aussehenden Position halb auf seinem Stuhl und halb auf dem Bett hing, nicht aufwecken.
    »Sind Sie ein Arzt?«
    »Ein Arzt? Ich – woher zum Teufel weißt du... ja natürlich, ein Arzt«, sagte der Mann, »Maria schickt mich, los, wir müssen gehen.«
    »Maria schickt Sie? Wo ist sie?«
    »Ruhig«, sagte der Doktor. »Ich erkläre es dir später. Jetzt müssen wir erstmal raus hier.«
     
     
     
     
     
    »Kuckuck, lass uns gehen!« Eines Nachts hatte Karl einen Stein an Klaras Fenster geworfen, und als Klara, verschlafen und im weißen Nachthemd das Fenster geöffnet hatte, hatte er
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