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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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Keiner sprach.
    Wir hatten noch nie so zusammengesessen. Aber wir überwanden die Sekunden und Minuten, in denen man sonst vielleicht etwas seufzend das eine Bein über das andere legen oder sonst wie die Sitzhaltung ändern, sich räuspern würde, wie es Menschen in der Kirche und in Konzerten immer tun. Wir schwiegen. Minutenlang.
    Da wurde das Schweigen auf einmal still.
    Und aus der Stille kam ein Ziehen. Das war nicht das Warten meiner Geschwister darauf, dass ich nun weitersprechen sollte. Sie warteten nicht. Ich wartete auch nicht mehr auf sie, sondern aus der Stille wuchs eine Ruhe. Eine ruhige Geduld. Es war nicht mehr unser Warten. Es war seins .
    Und den Frieden, der in dieser Geduld lag, empfanden wir selbst nicht. Dieser Frieden war nicht unserer, aber wir wussten, dass er die Wahrheit ist. Und Wahrheit stellt immer nur eine Frage. Und die einzige Antwort darauf ist «Ja», die gibt sie sich selbst, und wir nickten ihr dann nur noch unsere Worte zu.
    Steffi flüsterte: «Du hast gesagt, wenn zwei oder drei in deinem Namen versammelt sind, dann bist du mitten unter ihnen. Das hast du gesagt. Und wir sind doch drei, Jesus. Bitte mach Papa gesund.»
    Und Johannes: «Bitte mach ein Wunder, lieber Gott. Wir sind nicht oft in die Kirche gegangen, und ich hab nicht so viel gebetet. Aber du kannst Wunder machen.»
    Und ich: «Bitte mach ein Wunder. Bitte mach Papa gesund. Bitte mach, dass er nicht stirbt. Wir glauben dir.»
    Gott. Größer als am Meer. So deutlich wie: «Ich bin.» Deutlicher. Gewisser als man selbst.
    Ich muss oft an jenes Gebet denken, wenn ich mit Bekannten rede, die nicht an Gott glauben, von mir aber wissen, dass ich gläubig bin. Ich höre so häufig das Zugeständnis: «Na ja, ich kann mir schon vorstellen, dass Beten einen beruhigt, ist ja auch irgendwie wahrscheinlich ein ganz gutes Gefühl, wenn man glaubt, dass da immer jemand ist.»
    Ich schweige dazu, weil ich weiß, dass ich von jemandem, der nicht glaubt, nicht erwarten kann, mir die Wirklichkeit Gottes abzunehmen, vor der wir Kinder damals in jenem Zimmer saßen. Meine Geschwister und ich wussten danach vom Gleichen. Aber das kann ich diesen Bekannten nicht erklären, und ich würde diese Geschichte auch nie erzählen. Denn dann wären sie es vielleicht, die still würden, weil sie sich für mich mitleidig schämten. Dafür, dass ich damals mit meinen armen Geschwistern so große Not hatte, dass unsere Psychen sich etwas zusammenbauten. Ein Gruppendynamik-Halluzinationswunschdenkengedöns.
    Meine Geschwister und ich haben danach lange nicht über diese Momente auf dem Dachboden gesprochen. Aber wenn es in Gesprächen allgemein um Gott ging, bemerkte ich, dass sie von demselben Gott sprachen wie ich.
    Wir formulierten es nie. Wir sagten höchstens: «Weißte, was ich meine? Wie damals in dem Zimmer auf dem Dachboden, als wir gebetet haben. So halt. Verstehste?»
    Und wir verstanden, ohne dass wir es uns gegenseitig erklärt hätten. Wir beteten in der Woche danach jeden Abend so zusammen.

7
    Die Luft war warm und feucht und hefedick aus Pizzateig und Bier. Die tief über den Tischen hängenden Lampen im Lokal ließen orangene Lichtkugeln um sich entstehen, und jeder, der zu weit nach hinten gelehnt im Stuhl saß, musste im Schwarz sitzen. So sah ich Papa nur hin und wieder sich vorbeugend ein gelbliches Gesicht bekommen – oder eben gar keins. Er saß hinten am Ende der Tafel, am Kopf. Johannes saß links von mir, Steffi uns gegenüber, ein, zwei Cousinen, ein Cousin dabei, ich weiß es nicht mehr, Tanten, Onkels, eine große Tafel war es, und auf jeden Fall ein Bruder meiner Mutter, der am anderen Kopfende saß. Alle versuchten, die Nachricht, dass Papas Krebs unheilbar ist, auszuhalten und Pizza zu essen. Es war zwei Tage nach dem Gebet auf dem Dachboden, vielleicht auch drei, vier. Ich drückte unterm Tisch zwischendurch Johannes’ Hand, er lächelte mich an. Steffi sah mich manchmal mit der Frage in den Augen an «Wie geht’s dir jetzt?» und «Und jetzt? Wie geht’s dir jetzt grade?», und eine halbe Stunde später sah ich Johannes mit dieser Frage an, und wir antworteten immer mit dem Lächeln, das Hoffnung war. Echte Hoffnung, ein wenig verwundert, aber «Ja».
    Alle tranken viel Wein. Das taten sie immer, und die Augen glänzten schon, und die Wangen waren schon rot, und es wurde sogar auch gelacht, und mein Vater tauchte immer weniger im Schein der Lampe auf. Immer öfter sah ich nur seine Hände auf der Tischkante
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