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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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gucken zu können, oder die Haut der Ferkel war zu warm, irgendwas schien mir den Blick zu belegen, und alles war nicht so echt, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber mein Kinderherz schmolz, als ich die kleinen rosaroten Tiere sah, wie sie aufgeregt und überkandidelt rumgrunzten und mit ihren Regenwurmschwänzchen wippelten.
    Ich wollte sie auf den Arm nehmen und ihre nassen Schnauzen küssen und sie streicheln und wiegen und einshampoonieren mit rosa Shampoo und sehr herzig anziehen, mit nach Hause nehmen und in den Puppenwagen legen, auf dass sie niemals groß würden.
    «Darf ich bitte eins haben», fragte ich, genauso wie ich es bei den Welpen versucht hatte.
    Die Babysitterin lachte. «Von die Ferkels? Nee, Dirn, vergiss das man schnell.»
    «Aber ihr habt doch so viele. Da könnt ihr mir und Johannes doch eins abgeben. Nich, Johannes, du möchtest doch auch ein Ferkelchen haben, ne?»
    Mein kleiner Bruder strahlte und nickte. Er fand grundsätzlich alle Ideen, die ich hatte, sehr gut.
    «Die braucht ihr doch alle gar nicht, könnt ihr doch uns eins abgeben», sagte ich und streckte meine hochgekrempelten Arme weit in die Box, um so viele auf einmal zu streicheln, wie es ging. Johannes drängte sich neben mich und schob seine kleinen Arme an meinen entlang und patschte auf den Ferkeln rum, die ich eigentlich alleine streicheln wollte.
    «Was wollt ihr denn mit den allen machen?», fragte ich die Kinderfrau.
    «Na, die werden geschlachtet», sagte sie, und ich spürte das «schl» und das «ch» im Mund, als ich versuchte, das stumm nachzusprechen, und beides fühlte sich brutal an, aber auch erwachsen. Es war auf jeden Fall ein Wort, bei dem, wenn man nachfragt, die Reaktion der Erwachsenen ungehalten sein konnte, das merkte ich. Ich fragte nicht nach. Ich konnte nicht, weil Johannes in die Hose gepieselt hatte und die dicke Kinderfrau mit ihm ins Bad ging. Ich wollte bei den Ferkeln bleiben, durfte und war allein im Raum, was für mich als Kind immer ein seltsames, aufregendes und dumpfes Gefühl zugleich war.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da so stand, ich erinnere mich auch nicht, was ich eigentlich getan habe. Aber an das Geschrei erinnere ich mich.
    Ein Geschrei, als steckte man einer brüllenden Frau eine zerschnittene Blechdose in den Mund. Scheppernd, aus der Kehle, durch die Nase, grunzend, aus dem Magen aufsteigend und dann schrill alle Kraft, alle Höhe auf einen dünnen Faden von Luft gelegt.
    Es drang durch die riesengroße Dielentür, ein dunkles Tor mit zwei Flügeln, die gegenüber der Küchentür lag, hinter der Johannes und das Mädchen verschwunden waren, und als der erste Schreck vorbei war, musste ich an dieses Tor gehen. Ich hatte Angst, Ärger zu bekommen, es war wie bei dem Wort «schlachten», bei dem ich nicht nachfragte, weil es scheinbar nichts für einen war, aber ich musste nachsehen.
    Als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um an den eisernen Türgriff zu gelangen, beschäftigte mich mehr die Furcht, dass ich erwischt würde, als dass es etwas Schlimmes zu sehen gäbe. Was sollte ich mir auch Schlimmes ausdenken können? Bilder gab es nicht. Die Nachrichten durfte ich nicht mitgucken, ich sah kaum fern, ich war erst seit vier Jahren hier auf der Welt. Aber wittern tut man es irgendwie als Kind, dass da was kommen könnte, und ich musste es sehen, nur durch einen schmalen Spalt linsen.
    Weil ich auf den Zehenspitzen umknickte und mich an der Tür abstützte, ging diese langsam, schwer, aber von mir nicht aufhaltbar, ganz auf. Der Flügel krachte gegen die Wand in der Diele. Ich stand im Rahmen und roch das Blut, das aus einer Art Badewanne dampfte. Darüber hing eine aufgeschlitzte Sau, und ich fragte mich, ob die so geschrien hatte. Ihr Fuß steckte in einer Schlinge mit einem riesigen Haken, und die Männer holten rote Sachen aus ihrem Bauch.
    Überall roter Dampf in meiner Erinnerung, die an manchen Stellen so dunkel wie das Rot hinter den geschlossenen Lidern erscheint. Manche Männer hatten Schürzen an, es waren große Gestalten. Sie waren sehr konzentriert, und ich stand nur da und starrte und starrte, wie man in Matheaufgaben starrt, die man lösen können soll.
    «Schaff doch einer die Lütte da weg», rief ein Mann mit Schürze, auf der Blut war. Er hatte ein Messer in der Hand. Ich hatte keine Angst vor ihm. Er war nur der Inbegriff des Erwachsenen schlechthin für mich: fremd, riesig groß, ernst und handelnd.
    Die Tür wurde zugemacht, und durch den Schlitz
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