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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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würde sein Nachfolger sein? Jemand, den er kannte? Hatte sie bereits einen Plan? Würde sie schon morgen neben einem anderen Mann im Bett liegen? Ihn genauso lüstern anschauen und sagen: »Der will zu Kass«? Ihm einen blasen?
    Er fing ihren Blick auf und begriff plötzlich, dass er nicht die blasseste Ahnung hatte, was sich hinter ihrer Stirn regte. Sah er Abschiedsschmerz in ihren dunklen Augen, oder machte sie ihm ebenso etwas vor, wie wenn sich ihre Augen vor Erregung und Begierde zu Schlitzen verengten? War er ihr im Grunde gleichgültig? Verachtete sie ihn? Lachte sie innerlich über ihn, obwohl ihre Mundwinkel traurig nach unten zeigten?
    Er wunderte sich über sich selbst. Normalerweise neigte er nicht zum Grübeln. Entschieden schob er die Gedanken über Kass beiseite. All diese Fragen führten zu nichts. Sie trennten sich doch gerade. Sie hatten nichts mehr miteinander zu tun.
    Offenbar war er für einen Moment sentimental geworden. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Er ordnete seine Kleidung, hakte den widerspenstigen Gürtel zu und hob das rote Seidenkleid auf.
    Sie sah ihn fragend an.
    Er streckte die Hand aus und half ihr auf. Ihre Haut fühlte sich warm an, aber die Wärme und die Düfte waren ihm nun gleichgültig. Er hielt ihr das Kleid hin.
    »Am besten gehst du jetzt.«
    Die eben noch schmollenden Lippen wurden nach innen gesaugt und bekamen einen harten Zug. Ihr Blick suchte immer noch nach seinem, als ob es noch etwas zu sagen gäbe.
    Er drückte ihr das Kleid in die Hand und ging langsam zum Tisch im anderen Zimmer und sah nach, ob in der Flasche noch ein Rest war. Nebenan hörte er sie sich anziehen.

2
     
    Das Telefon schrillte durchs ganze Haus. Wenn er anrief, klingelte es immer besonders laut. Es ging ihr durch Mark und Bein.
    Kristina durchquerte das Wohnzimmer und eilte in die Küche. Ihre Füße in den Strümpfen fühlten sich schweißig an. Zu spät. Sie hasste es, zu spät zu kommen, wenn er anrief. Sie wollte gut vorbereitet sein; ruhig, ausgeglichen und trocken zwischen den Zehen. Arvid hatte feine Antennen. Er bemerkte jedes Kräuseln an der Oberfläche.
    Sie zog sich einen der Jugendstilstühle vom Esstisch heran und atmete, ohne an die Hand zu denken, die gleich nach dem klingelnden Telefon greifen würde, dreimal tief und konzentriert ein und aus. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was Noriko am letzten Mittwoch im Kurs gesagt hatte. Die Tatkraft dieser Frau imponierte ihr. Noriko war mit ihrem Mann aus Washington gekommen, ausgerechnet nach Gotland. Nur wenige Monate später hatte sie gegenüber der Statoil-Tankstelle in Havdhem ein Yogastudio mit Reispapierrollos eröffnet.
    Noch vor zwei Jahren hätte Kristina im Traum nicht an Yoga gedacht. Viel zu exotisch. Vielleicht hatte die Tatsache, dass Noriko Japanerin oder zumindest japanischer Abstammung war, sie neugierig gemacht. Japan war zwar weit weg, aber ständig präsent in ihrem Leben. Die täglichen Anrufe aus Tokio engten sie ein, aber der Kurs am Mittwoch brachte sie auf irgendeine seltsame Weise wieder ins Gleichgewicht.
    Sie nahm den Hörer ab. In Levide auf Gotland war es vierzehn Uhr, in Tokio zweiundzwanzig Uhr.
    »Hallo, Liebling. Wie geht’s? Alles in Ordnung?«
    Wie immer klang Arvids Stimme dunkel und konzentriert. Obwohl er sich auf der anderen Seite der Erdkugel befand, war er klar und deutlich zu hören.
    »Alles in Ordnung.«
    Sie sprach mit fester Stimme, aber klang sie nicht ein wenig höher als sonst?
    »Ich komme nach Hause«, sagte er. Falls ihm etwas an ihrer Stimme aufgefallen war, ließ er es sich nicht anmerken.
    »Aha. Wann denn?«
    Sie wusste, dass er morgen oder übermorgen sagen würde. Er kündigte sich gern kurzfristig an. Wenn er nicht so großen Wert darauf legen würde, vom Flughafen abgeholt zu werden, würde er sein Kommen vielleicht gar nicht ankündigen.
    »Also, ich komme zurück.«
    Sie schwieg, nahm den Hörer in die andere Hand, verstand kein Wort.
    »Ich komme nach Hause. Es ist vorbei. Abgeschlossen. Von einem Tag auf den anderen. Unglaublich, oder? Nach zehn Jahren.«
    Sie saß immer noch stumm da. Rings um sie herum wurde es dunkel. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr machte sich bereit für den nächsten Sprung. Ein schwaches elektrisches Signal in einem Kabel.
    Nun sprang er.
    Wie lange konnte sie schweigen? Man durfte doch vor Überraschung sprachlos sein, oder nicht? Aber nicht unbegrenzt. Allerdings kam es ja nicht nur darauf an, dass sie antwortete, sondern was und in
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