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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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Ermittlungen abgeschlossen waren, spielten einige zusätzliche freie Tage keine Rolle mehr. Bei der Betrachtung der Ereignisse auf der Insel war ihr eigenes Verhalten in den Hintergrund getreten. Man hatte die Sache schnell abgehandelt und keine Fragen gestellt.
    Da sie schon mit Göran und Ninni gesprochen hatte, hatte sie geglaubt, auf die Begegnung mit Fredrik gut vorbereitet zu sein, aber als sie das Zimmer dann betrat, blieb sie trotzdem wortlos hinter der Tür stehen. Der Mann in dem Bett sah schlaff und abwesend aus, sein Blick wanderte ziellos umher. Er war nicht bewusstlos und trotzdem nicht hier. Aber wo befand er sich dann? War er überhaupt noch dort drin? Hatte der Sturz von der Klippe den Fredrik Broman, den sie kannte, ausgelöscht und nur so grundlegende Dinge wie Atmung, Herzschlag und andere Körperfunktionen von ihm übrig gelassen? Das Krankenhaus hatte zu dieser Frage nicht viel Hilfreiches zu sagen.
    Man musste abwarten. Das klang schwammig, gab aber trotzdem Anlass zu einem gewissen Optimismus. Die Ärzte würden einem doch nicht grundlos Hoffnung machen?
    Als Sara hereinkam, war Ninni bei ihm. Voller Verzweiflung starrte sie das abwesende Gesicht ihres Ehemannes an, doch Sara sah noch etwas anderes in Ninnis Augen: eine unfreiwillige Abscheu vor dem Ganzen, dem Krankenzimmer, dem scheinbar leblosen Körper, den Verbänden und dem Tropf. Nein, vielleicht widerte sie nicht alles an, sondern vor allem dieser willenlose, schlaffe, stumme und hilflose Leib. Sara konnte sie verstehen und verurteilte sie nicht.
    Sie bot ihr an, eine Weile bei ihm zu sitzen. Ninni solle doch in die Cafeteria oder in den Park gehen oder tun, wonach ihr gerade war. Zunächst fürchtete Sara, sie wäre vielleicht zu aufdringlich gewesen und hätte eine Grenze überschritten, doch Ninni nahm ihr Angebot dankbar lächelnd an.
    Dann war Sara allein mit Fredrik. Sie betrachtete ihren Kollegen, oder besser gesagt, die stumme Hülle, die an ihn erinnerte. Was sollte sie sagen? Was sollte sie tun?

68
     
    Elin Traneus stand auf ihrem Balkon im sechsten Stock. Das Hotel Okura im Tokioter Bezirk Minato lag nicht weit von dem Haus entfernt, in dem ihr Vater einen Großteil seiner drei letzten Lebensjahre verbracht hatte.
    Im März war es in Tokio kalt und regnerisch. Der Regen kam plötzlich, war seltsam geräuschlos und dauerte meist nicht lange. Als Elin in der Stadt angekommen war, war sie an der falschen Haltestelle aus dem Bus gestiegen und hatte ihren Rollkoffer eine Dreiviertelstunde durch diesen Regen ziehen müssen. Plötzlich war unter den Arkaden eines Hotels am Straßenrand ein Mann in Uniform aufgetaucht und hatte ihr einen einfachen durchsichtigen Regenschirm geschenkt. Ein unglaublicher feiner Zug von ihm. Elin war immer noch gerührt, wenn sie daran dachte.
    Das Hotel Okura stammte aus den Sechzigerjahren und kam in einem James-Bond-Film vor. Das hatte sie unten in der Lobby, die so groß wie eine Flugzeughalle war, in einer Broschüre gelesen. Das Hotel verfügte über eine Bar, in der ausgezeichneter Dry Martini serviert wurde. Sie hatte sich vorgenommen, nicht zu viel Zeit in den dunklen Räumen zwischen den nicht mehr ganz jungen Japanern in Anzügen zu verbringen.
    Schlafen konnte sie kaum. In den ersten drei Tagen stand sie vor allem auf dem Balkon und blickte über die Stadt. Sie spazierte durch die hässlichen und trostlosen Viertel in der Nähe. Trotz der merkwürdigen japanischen Hausnummern fand sie schließlich das Haus, in dem ihr Vater gewohnt hatte. Das Gebäude war ein nichtssagendes, bleistiftgraues Hochhaus mit etwa vierzig Stockwerken. Ob er tatsächlich dort gewohnt hatte, konnte sie natürlich nicht wissen.
    Molly hatte sie zur Beerdigung begleitet, und dafür würde ihr Elin ewig dankbar sein. Alleine hätte sie es nicht geschafft.
    Die Trauerfeier hatte eine Woche vor Weihnachten in der Levider Kirche stattgefunden, der merkwürdigen Kirche auf der falschen Straßenseite. Es gab mit Sicherheit Leute, die es unpassend oder sogar abstoßend fanden, dass die Begräbnisse in einem gemeinsamen Trauerakt stattfanden. Für Elin wäre es undenkbar gewesen, es anders zu machen. Ganz egal, was passiert war.
    Drei von ihnen wurden zusammen begraben. Zwei der Menschen, die da Seite an Seite in den Eichensärgen mit den Messingbeschlägen lagen, hatte zwei andere Menschen getötet. Ihre Familie. Nun fanden sie zusammen mit Stefania die letzte Ruhe. Auch das war möglicherweise keine ganz unkomplizierte
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