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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Schneeberge. »Schmelzen und durchsuchen Sie ihn.«
    »In welchem Labor, Chefinspektor?« fragte Fet.
    »Oh, ich glaube, dass heißes Wasser an Ort und Stelle genügt.« Weil das vermutlich nicht eindrucksvoll genug klang, fügte Arkadi hinzu: »Ich verlange, dass hier keine Schneeflocke auf der anderen bleibt!«
     
    Arkadi nahm Fets beigeroten Dienstwagen, fuhr davon und überquerte die Krim-Brücke nach Norden. Es war neun Uhr; vor zwei Stunden war er aus dem Bett geholt worden und hatte noch nicht gefrühstückt, nur Zigaretten geraucht. Am Ende der Brücke hielt er seinen roten Dienstausweis hoch, so dass der Milizmann, der den Verkehr regelte, ihn sehen konnte, und hatte sofort freie Fahrt. Ein Privileg, das er seinem Dienstrang verdankte. Arkadi fuhr auf dem Marx-Prospekt um den Kreml herum, bog in die Petrowka-Strasse ab und erreichte den fünfstöckigen gelben Bau des Hauptquartiers der Moskauer Miliz. Dort parkte er in der Tiefgarage und fuhr mit dem Lift zur Einsatzzentrale im zweiten Stock hinauf.
    An einer Wand der Zentrale hing ein riesiger Stadtplan, auf dem Moskau in 30 Bezirke unterteilt war.
    135 Lämpchen bezeichneten die Milizstationen. An einem Pult mit Mikrofonen und Kippschaltern saßen Beamte, die über Funk Verbindung zu Streifenwagen (»Fünfneun, hier Wolga, kommen«) und Milizstationen (»Omsk, hier Wolga, kommen«) hielten. Auf dem ganzen Stadtplan blinkte lediglich ein Lämpchen auf, das anzeigte, dass in der Hauptstadt mit ihren sieben Millionen Einwohnern in den vergangenen 24 Stunden nur ein Kapitalverbrechen gemeldet worden war - im Gorki-Park. Der Milizdirektor, eine imposante Erscheinung mit breiter Ordensschnalle auf der grauen Generalsuniform, beobachtete dieses Blinken von der Mitte der Einsatzzentrale aus. Bei ihm standen zwei Obersten, seine Stellvertreter. In seinem Zivilanzug wirkte Arkadi dagegen geradezu schäbig.
    »Chefinspektor Renko meldet sich zur Stelle, Genosse General«, sagte Arkadi vorschriftsmäßig. Bin ich rasiert? fragte er sich. Er widerstand der Versuchung, sein Kinn zu betasten.
    Der General nickte kaum merklich.
    »Den General interessiert Ihre erste Reaktion«, stellte einer der Obersten fest. »Wie beurteilen Sie die Aussichten, dass der Fall rasch gelöst werden kann?«
    »Mit der besten Miliz der Welt und der Unterstützung durch das Volk wird es uns sicher gelingen, die Täter zu ermitteln und festzunehmen«, antwortete Arkadi automatisch.
    »Wie kommt es dann«, fragte der andere Oberst, »dass nicht längst alle Stationen aufgefordert worden sind, bei der Identifizierung der Toten mitzuhelfen?«
    »Bei den Leichen wurden keine Ausweise gefunden, und da sie gefroren sind, ist schwer zu sagen, wann sie erschossen wurden. Außerdem sind sie zum Teil verstümmelt. Eine normale Identifizierung scheidet deshalb aus.«
    Der erste Oberst wechselte einen Blick mit dem General, bevor er fragte: »Am Tatort ist ein KGB-Vertreter erschienen?«
    »Ja.«
    Der General murmelte: »Im Gorki-Park - das verstehe ich nicht.«
     
    Arkadi frühstückte in der Kantine, bevor er ein Zweikopekenstück in den Münzfernsprecher steckte, um zu telefonieren. »Ist die Genossin Lehrerin Renko da?«
    »Genossin Renko ist bei einer Besprechung mit einem Ausschuss der Bezirkspartei.«
    »Wir wollten uns zum Mittagessen treffen. Richten Sie Genossin Renko aus … sagen Sie ihr, dass ihr Mann heute wahrscheinlich erst etwas später nach Hause kommt.«
    In der nächsten Stunde wälzte Arkadi Ermittlungsakten und überzeugte sich davon, dass Fet, der abgebrüte junge Kriminalbeamte, stets nur Fälle bearbeitet hatte, die für den KGB interessant gewesen waren. Arkadi verließ das Hauptquartier durch den zur Petrowka-Strasse hinausführenden Hof, nickte dem Wachposten zu und betrat das gerichtsmedizinische Institut.
    An der Tür des Autopsieraums blieb er stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden.
    »Ihnen ist wohl schlecht?« Lewin sah auf, als er das Zündholz aufflammen hörte.
    Arkadi schüttelte den Kopf. Er inhalierte tief, bevor er den nach Formalin riechenden Raum betrat. Die drei Mordopfer mochten als Persönlichkeiten äußerst unterschiedlich gewesen sein; als Leichen waren sie einander erstaunlich ähnlich. Albinoweiß, über jedem Herzen eine Einschusswunde, Finger ohne Spitzen und Köpfe ohne Gesichter.
    Vom Haaransatz bis zum Kinn und von einem Ohr zum anderen war alles Fleisch entfernt worden, so dass nur Masken aus Knochen und schwarzem Blut zurückgeblieben waren.
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