Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
Vom Netzwerk:
einer Jacke. Auf dem Etikett stand Jeans. »Einheimische Ware. Minderwertiges Zeug, das in jedem Geschäft zu kaufen ist. Oder sehen Sie sich den Büstenhalter an.« Der Oberst nickte zu einem anderen Tisch hinüber. »Kein französisches, nicht mal ein deutsches Erzeugnis.«
    Arkadi sah, dass Ljudin unter seinem offenen Laborkittel eine italienische Seidenkrawatte trug. Sie fiel auf, weil es solche Krawatten nirgends zu kaufen gab. Der Oberst genoß Arkadis Frustration wegen der Kleidungsstücke der Ermordeten; je frustrierter die Kriminalbeamten waren, desto wichtiger waren die Labortechniker.
    »Wir müssen natürlich noch den Gaschromatographen, das Spektrometer und weitere Geräte einsetzen, aber solche Untersuchungen sind in dreifacher Ausfertigung sehr teuer.« Ljudin hob hilflos die Hände. »Ganz zu schweigen von der notwendigen Computerzeit.«
    Arkadi war klar, dass das nur Theater war. »Für die Gerechtigkeit darf nichts zu teuer sein, Oberst.«
    »Ganz recht, aber ich brauchte einen schriftlichen Auftrag, eine Anforderung für diese ganzen Untersuchungen, verstehen Sie?«
    Der Chefinspektor unterzeichnete schließlich einen Blankoauftrag. Oberst Ljudin würde überflüssige Untersuchungen einsetzen, die er gar nicht durchführen würde, und die nicht verbrauchten Chemikalien privat verkaufen. Aber er verstand seine Sache. Arkadi hatte keinen Grund, sich über seine Arbeit zu beschweren.
    Der Techniker im Ballistiklabor hatte zwei Kugeln unter dem Vergleichsmikroskop, als Arkadi zurückkam.
    »Wollen Sie sich’s mal ansehen?«
    Arkadi beugte sich über das Binokular. Unter beiden Objektiven lag je eine Kugel aus dem Gorki-Park. Eine von ihnen hatte einen Knochen durchschlagen und war dabei ziemlich deformiert worden, aber beide ließen erkennen, dass sie aus einem Lauf mit Linksdrall abgeschossen worden waren, und als Arkadi sie von mehreren Seiten betrachtete, konnte er zahlreiche weitere Gemeinsamkeiten feststellen.
    »Die gleiche Waffe.«
    »Immer die gleiche Waffe«, bestätigte der Techniker. »Bei allen fünf Geschossen. Das Kaliber 7.65 Millimeter ist sehr selten.«
    Arkadi hatte nur vier Kugeln von Lewin mitgebracht.
    Er nahm die beiden Kugeln aus der Halterung unter dem Mikroskop. Die rechte war unbezeichnet.
    »Eben aus dem Park reingekommen«, sagte der Techniker. »Mit dem Metalldetektor gefunden.«
    Drei Menschen im Freien aus nächster Nähe mit einer einzigen Waffe von vorn erschossen.
     
    Erschossen und aufgeschnitten. Genau wie vor sechs Wochen am Kliasma-Fluß. Und auch damals war er auf Pribluda gestoßen.
    Vor sechs Wochen waren zweihundert Kilometer östlich von Moskau bei Bugolubowo, einem Dorf von Kartoffelbauern, am Ufer der Kliasma zwei Leichen gefunden worden. Die nächste Stadt war Wladimir, aber keiner der Ermittlungsbeamten der dortigen Staatsanwaltschaft war bereit gewesen, die Ermittlungen zu führen; sie waren alle »krank« gewesen. Daraufhin hatte der Generalstaatsanwalt den Leiter der Moskauer Mordkommission nach Bugolubowo entsandt.
    Die Opfer waren zwei junge Männer, deren Münder merkwürdig offenstanden und deren Mäntel und Oberkörper aufgeschnitten worden waren. Lewins Autopsie hatte ergeben, dass der Mörder die tödlichen Geschosse aus den Körpern seiner Opfer herausgeschnitten hatte. Lewin entdeckte außerdem rote Gummispuren an den Zähnen der beiden und Natriumaminat in ihrem Blut, was Arkadi die »Krankheit« der Wladimirer Kollegen verständlich machte. Denn außerhalb von Bugolubowo - und in keiner Karte eingezeichnet, obwohl die Zahl der Insassen die der Dorfbewohner überstieg - lag eine geschlossene Anstalt für politische Gefangene, und Natriumaminat war ein dort häufig verwendetes Beruhigungsmittel.
    Arkadi war zu dem Schluß gekommen, die Toten seien nach ihrer Entlassung von Komplizen ermordet worden. Als die Anstaltsleitung sich weigerte, telefonische Auskünfte zu geben, hätte er den Fall »zur weiteren Erledigung« an die Kollegen in Wladimir abgeben können. Statt dessen war er in Uniform vorgefahren, hatte Einblick in die Häftlingskartei verlangt und festgestellt, dass ein Major Pribluda vom KGB am Tag vor dem Leichenfund zwei Männer abgeholt hatte. Arkadi hatte den Major angerufen, der diese Tatsache leugnete.
    An diesem Punkt hätten die Ermittlungen eingestellt werden können. Statt dessen war Arkadi nach Moskau zurückgefahren, hatte sich in Pribludas Büro in der schäbigen KGB-Zweigstelle in der Petrowka-Strasse begeben und dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher