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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Autoren: Helene Wecker
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vielleicht reichte es, dass er einfach nur da war – um ihr Ende zu bezeugen, sollte es dazu kommen.
    Schaalman sagte etwas; und selbst aus dieser Entfernung spürte er die Macht der Worte. Er hatte eine Gänsehaut, die Haare stellten sich ihm auf. Er sah, wie Chava taumelte, als hätte sie ein Schlag getroffen. Ahmad wandte ihr den Rücken zu. Was immer geschah, er ertrug es nicht, es mitanzusehen.
    Saleh hielt den Atem an und trat einen Schritt näher.
     
    »Hallo, Ahmad«, sagte der Golem.
    Nenn mich nicht so
, dachte der Dschinn.
Nicht mit ihrer Stimme.
    Er zwang sich, sich umzudrehen. Sah er wirklich einen Unterschied, oder bildete er es sich bloß ein? Ihre Augen waren größer, klarer. Eine undefinierbare Falte auf ihrer Stirn war verschwunden. Sie lächelte unbeschwert.
    »Du hättest warten können, bis ich in der Flasche bin«, sagte er zu Schaalman. »Du hättest es mir ersparen können.«
    »Ich wollte, dass du es siehst, damit du es verstehst«, sagte Schaalman. »
Das
ist ihre Natur. Nicht das zerrissene Wesen, das du gekannt hast.«
    »Es stimmt«, sagte der Golem. Sie streckte die Arme von sich, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. »Ich bin jetzt, wie ich sein soll. Mach dir keine Sorgen«, sagte sie zu dem entsetzten Dschinn. »Ich erinnere mich noch an alles. An die Bäckerei und die Radzins, und an Anna und den Rabbi. Und an Michael.« Einen Augenblick lang schien sie sich auf etwas zu konzentrieren, dann fuhr sie fort: »Mein Meister hat sein Leben beendet. Ich bin wieder Witwe.« Sie hätte auch über das Wetter reden können.
    Der Dschinn starrte Schaalman an. »Du hast ihren Mann umgebracht? Aus was für einem Grund –«
    »Er hat etwas Falsches gesagt«, antwortete Schaalman.
    »Das hast du ihr verschwiegen, als du ihr den Handel vorgeschlagen hast.«
    Schaalman lachte. »Meinst du etwa, das hätte ihre Entscheidung beeinflusst?«
    »Und ich erinnere mich an dich«, sagte der Golem und ging auf den Dschinn zu. Ihre unsichere Haltung war verschwunden; sie hielt sich jetzt aufrechter und wirkte selbstbewusster. »Ich habe dir nie gesagt, was ich für dich empfinde.«
    »Tu es nicht«, rief der Dschinn verzweifelt.
    »Es ist schon in Ordnung«, sagte sie, als wollte sie ein Kind beruhigen. »Jetzt empfinde ich nicht mehr so.«
    »Es reicht«, sagte er zu Schaalman. »Steck mich in die Flasche.«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Wie du willst.«
    Doch es war der Golem, nicht ihr Meister, der sich bückte, um sie aufzuheben. Natürlich: Schaalman wollte nicht riskieren, sich wie Ibn Malik zu schwächen. Sie betrachtete die Flasche und wandte sich dann an Schaalman: »Was muss ich sagen?«
    Schaalman zögerte, suchte in seiner Erinnerung und sagte dann einen kurzen Satz in umständlichem Arabisch. Der Dschinn schauderte: Die Worte hallten in seinem Gedächtnis wider, es waren die Worte, die er vor dem endlosen Augenblick in der Flasche gehört hatte.
    Der Golem hob die Flasche und öffnete den Mund, um die Worte zu wiederholen.
    »Halt«, sagte Schaalmann schnell. »Nicht so. Du musst ihn ansehen, nicht mich.«
    »Warte«, sagte der Dschinn.
    Schaalman zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ist das etwa Feigheit?«
    Er beachtete den Mann nicht und ging zu Chava. Sie stand geduldig da, den Kopf zur Seite geneigt, und sah ihn mit kühler Neugier an.
    »Leb wohl«, sagte er zu ihr.
    Sie protestierte nicht, wartete fügsam wie ein Vögelchen, als er die Hand hob und ihre Wange berührte. In der Mulde am Ansatz ihres Halses, am Rand ihres nicht zugeknöpften Kragens funkelte die goldene Kette.
    Er müsste schnell sein.
     
    Saleh war bis zum Ende des Flurs geschlichen und befand sich jetzt keine zwei Schritte mehr vom hellen Saal entfernt. Manipulierte Schaalman den Golem? Oder war sie zur Verräterin geworden?
    Der Golem hob die Flasche auf und stellte dem alten Mann eine Frage. Nach einer Weile antwortete er auf Arabisch oder zumindest eine Art Arabisch. Die Worte ergaben ebenso wenig Sinn wie der Singsang eines Kindes, doch sie klangen in seinen Ohren schmerzhaft, krächzend und kratzten an der Wunde in seinem Kopf. Einen Augenblick lang sah er alles grau und platt – er fühlte sich, als wäre er gefangen und würde schrumpfen, sein Körper auf einen winzigen Punkt reduziert –
    Der Moment ging vorüber, und Saleh tauchte nach Luft schnappend wieder auf. Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass die Worte der Befehl für die Flasche waren. Er prägte sie sich ein, wiederholte sie in Gedanken
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