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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Autoren: Helene Wecker
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und spürte wieder, wie er merkwürdig klein wurde.
    Ahmad berührte Chavas Wange, es war eine Geste tiefsten Bedauerns. Und dann riss er plötzlich eine Kette von ihrem Hals. Etwas blitzte in seiner Hand auf, er wandte sich ab, rannte los, ein, zwei Schritte, seine Hände entfalteten ein Stück Papier –
    Der Golem packte ihn, hob ihn hoch und warf ihn auf den Holzboden.
    Schaalman schrie etwas. Saleh sah entsetzt zu, wie Chava Ahmad hochhob und gegen eine verspiegelte Säule warf. Alle kehrten Saleh den Rücken zu. Die Flasche lag umgefallen und vergessen auf dem Boden.
    Er war kein Kämpfer und hatte keine Waffe. Für Schaalman und den Golem wäre er nur ein flüchtiges Ärgernis. In dem Augenblick, in dem er ins Sonnenlicht trat, wäre er ein toter Mann.
    Er dachte:
Ich war so viele Jahre lang ein toter Mann. Dies soll der Tod sein, für den ich mich entscheide.
    Saleh lief aus dem Schatten.
     
    Der Golem stand vor ihrem Feind, der ihren Meister geärgert hatte. Er lag reglos da, nicht weil er verletzt war oder Schmerzen hatte, sondern weil ihn ihr Meister mit seinem Willen festhielt. Hinter ihm befand sich die gesprungene Säule, der Spiegel ein explodiertes Netz. Sie packte ihn und hob ihn wieder hoch, genoss das Gefühl ihres beweglichen Körpers, das An- und Entspannen der Muskeln aus Lehm. Dafür war sie erschaffen worden: für diesen Zweck, für diesen Moment.
    Ihr Meister schrie wieder, diesmal schrie er sie an, nicht den Dschinn. Sein Missfallen befahl ihr, nicht länger mit ihrem Feind zu spielen. Doch auch ihr Körper sprach zu ihr,
mach weiter, mach weiter
 – aber die Stimme ihres Meisters war lauter. Enttäuscht ließ sie den Dschinn auf den Boden fallen.
    »Genug!«, schrie ihr Meister. »Jemand wird uns hören, du hetzt uns noch die ganze Stadt auf den Hals.«
    »Entschuldigung«, sagte sie mit gesenktem Blick. Dann runzelte sie die Stirn, horchte auf den Bund zwischen ihnen. »Etwas stimmt nicht«, sagte sie.
    »Es ist alles in Ordnung«, fuhr er sie an und wandte sich ab. Denn tatsächlich steckte er in Schwierigkeiten. Seine früheren Leben begannen sich zu rühren. Es lag an dem arabischen Satz, den er ausgesprochen hatte: Um sich an ihn zu erinnern, hatte er zu hastig in Ibn Maliks Gedächtnis gesucht, und diese Störung hatte sich auf alle Leben dazwischen ausgewirkt. Er müsste sie wieder beruhigen, nachdem er den Dschinn in die Flasche gesteckt hatte. Er schaute sich um. Wo war die Flasche?
    Er hörte Schritte, drehte sich erschrocken um und sah, wie ein ihm bekannter Mann nach der Flasche auf dem Boden griff.
    Bevor er etwas sagen konnte, hatte der Golem den Mann gepackt. Ein Schlag, und der Mann ging zu Boden.
    Es war der Stadtstreicher aus der Wohnung des Dschinns. »Idiot«, knurrte Schaalman. Der Golem fasste den Mann am Hals, und Schaalman zuckte zusammen, als er sah, wie freudig ihre Augen strahlten. Ihm war es gleichgültig, ob der Mann starb, aber sie war kurz davor, Amok zu laufen. Müsste er sie zerstören?
    Er schloss die Augen und versuchte, sich trotz des Krachs in seinem Kopf zu konzentrieren. Die Bindungen zwischen ihm und seinen beiden Sklaven waren durcheinandergeraten, verwickelten sich mit seinen erwachten Leben. Der Golem hielt verwirrt inne. Der Dschinn verkrampfte sich auf dem Boden, als Schaalmans Kontrolle nachließ.
    Die Erinnerungen stiegen in ihm auf und zogen ihn hinunter, zerrten ihn immer weiter zurück –
    Im Palast des Dschinns kniete Ibn Malik vor ihm, Blut floss aus der Wunde in seinem Bauch. Schaalman blickte an sich hinunter und sah, wie sich die gleiche Wunde in seinem Körper öffnete wie ein Mund.
    Nimm deine Unsterblichkeit
, sagte Ibn Malik
, meinen Segen hast du.
Er bleckte die Zähne zu einem rotgefleckten Grinsen.
    Und dann war Schaalman zurück im Ballsaal und versuchte verzweifelt, die Kontrolle wiederzuerlangen. Der Dschinn hatte den Golem niedergerungen. Sie lag auf dem Boden, er saß auf ihr und hielt ihre Arme fest. Schaalman taumelte und sah die Flasche in Salehs Händen funkeln. Er wollte seinen Sklaven etwas zurufen –
nein, haltet ihn auf
 –, doch seine Stimme ging unter, als seine früheren Selbst jubelnd im Chor triumphierten,
du bist genauso erledigt wie wir, besiegt von deiner eigenen Torheit.
    Saleh drehte sich zu Schaalman und sprach den Satz.
    Ein gleißendes Licht leuchtete auf und die Flasche erwachte zum Leben. Salehs Körper gab nach und stürzte, die Flasche in den Händen. Er spürte, wie sie ihm das Leben
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