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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein
Autoren: Volker Kutscher
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schon im U-Bahnhof zu verabschieden. Das widersprach zwar seinem Auftrag, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass der Ami freiwillig in diesem Irrenhaus blieb. Goldsteins Nachtzug ging in eineinhalb Stunden.
    »Ich muss mich um den Mist da oben kümmern«, meinte Rath.
    »Tun Sie das.« Goldstein nickte. »In ein paar Jahren haben Sie hier die Olympischen Spiele«, sagte er, »ich hab mir schon das Modell Ihres schicken Stadions angesehen. Bis dahin sollten Sie diese Schläger da oben im Griff haben.«
    »Keine Sorge, bis zur Olympiade kriegen wir das schon hin«, sagte Rath. »So was wie heute passiert so schnell nicht noch einmal, das verspreche ich Ihnen!«
    Er wünschte den dreien noch eine gute Reise und wartete, bis sie in der Bahn verschwunden waren. Dann ging er wieder hinauf auf die Straße und suchte die nächste Telefonzelle. Rath ließ sich mit dem Alex verbinden und verlangte Verstärkung.
    »Sie sind nicht der Erste, der deswegen anruft«, sagte der Wachhabende am anderen Ende. »Ist schon unterwegs.«
    »Davon ist hier noch nichts zu sehen«, brüllte Rath in den Hörer. »Wir überlassen dem braunen Pöbel die Straße. Reicht es nicht, dass wir in den Kommunistenvierteln schon jede Kontrolle über den öffentlichen Raum verloren haben? Machen Sie verdammt noch mal Dampf.«
    Er hängte ein. Es klackte an der Glasscheibe. Zwei von den braunen Jungs standen dort, klopften mit Geldmünzen an die Fernsprechzelle und grinsten. Rath schätzte die beiden auf Anfang zwanzig, aber einer hatte so viele Pickel im Gesicht wie ein Sechzehnjähriger.
    Rath öffnete die Tür. »Was soll das?«, fragte er.
    »Bist wohl auch so ’ne Judensau, was?«, sagte der Picklige, während der andere stur weitergrinste. »Hast deinen Isidor angerufen, dass er gute deutsche Polizisten schickt, die dir helfen!«
    »Ich bin ein guter deutscher Polizist«, sagte Rath und zückte seine Marke. Während die beiden SA-Jünglinge noch auf das Blech starrten, zog Rath seine Walther und entsicherte sie. »Und nun habt ihr braunen Arschlöcher bestimmt nichts dagegen, mit auf die nächste Wache zu kommen, da gibt’s noch viel mehr gute deutsche Polizisten.«
    Die beiden nahmen brav die Hände hoch.
    »So können Sie nicht mit uns sprechen«, protestierte der Picklige, der seine Rechte zu kennen schien. Bestimmt ein Jurist. »Sie dürfen uns nicht beleidigen.«
    »Irrtum«, sagte Rath und wedelte mit der Waffe, was die beiden auf Trab brachte, »so dürft ihr nicht mit mir sprechen! Beamten beleidigung ist in Preußen unter Strafe gestellt. Arschloch beleidigung ist erlaubt.«
    Darauf sagte der Picklige nichts mehr, und der andere schien sowieso stumm zu sein. Brav trotteten sie voran den Ku’damm hinunter und zum 133. Revier in der Joachimsthaler Straße.
    Rath hatte sich seinen Abend anders vorgestellt. An der Bar im Kakadu ein paar gepflegte Cognacs trinken, Charly ein bisschen vermissen und dabei der neuen Band lauschen, die einen wirklich guten Schlagzeuger haben sollte. Und nicht zwei Idioten auf die nächste Polizeiwache bringen. Na, wenigstens machten die beiden Braunen keinerlei Ärger mehr, sie hatten sich stumm in ihr Schicksal ergeben.
    Als er sie abgeliefert hatte und alle Formalitäten erledigt waren, trat Rath vor dem Reviergebäude auf die Straße und zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Ku’damm schien alles wieder ruhig zu sein, das Gegröle war verstummt, die übliche Geräuschkulisse des Nachtlebens wieder an seine Stelle getreten. Auf der anderen Straßenseite strahlte die Leuchtreklame der Kakadu-Bar in die Nacht, und Rath schaute auf die Uhr. Die Nazis hatten ihm den Abend doch nicht ganz verdorben; seinen Cognac konnte er immer noch trinken. Er rauchte die Zigarette zu Ende, dann erst ging er hinüber. Der rot-goldene Saal war gedrängt voll wie immer. Die Ereignisse draußen auf der Straße wirkten schon jetzt so unwirklich wie ein schlechter Traum. Nur das blaue Auge des Mannes neben ihm an der Bar und dessen leicht beschmutzter Anzug erinnerten Rath daran, dass es kein Traum war. Doch der lädierte Nachtschwärmer lächelte seine Begleiterin an, als sei nichts geschehen. Auch der Barmann war freundlich wie immer, und Rath bestellte seinen Cognac. Dann versuchte er, nicht an Charly zu denken, und lauschte der Musik. Die Leute hatten recht: Der neue Schlagzeuger war wirklich gut.
    Der Barmann brachte den Cognac, und Rath begann damit, sich in den angenehmen Rausch zu trinken, mit dem er in ein paar Stunden
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