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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Teelöffel. Man muss die Soße dick werden lassen. Einkochen nennt man das.
    Ich sehe meine Mutter an. Sie sitzt da und raucht. Sie schaut mich an. Sie sagt nichts. Aber das macht nichts. Ich habe aufgehört zu pfeifen. Sie pustet den Rauch Richtung Decke.
    Gut machst du das, sagt meine Mutter.
    Ich weiß, sage ich.
    Ich sehe meiner Mutter beim Essen zu. Ich sehe ihr zu, wie sie sich Nudeln in den Mund steckt. Sie hat Tomatensoße am Kinn. Sie bekleckert sich beim Essen. Ich würde gerne woandershin gucken, aber es geht nicht. Ich schaue das Tomatensoßenkinn meiner Mutter an.
    Sie steht auf, weil es an der Tür geklingelt hat. Ich sage: Lass. Vor der Tür stehen René und Tina und Nicole, die mich abholen wollen. Ich nehme den Aschenbecher von der Arbeitsfläche und stelle ihn vor meine Mutter auf den Küchentisch.
     
    102
    René redet mit Tina und Nicole. Er kann das. Ihm ist das nicht unangenehm. Wir sitzen im Bus in einem Viererabteil. Man muss sich gegenübersitzen. Ich sitze René gegenüber, am Fenster, damit ich hinausschauen kann. Ich schaue meine Hose an. Ich habe meine schwarze Cordhose an. Sie hat einen weißen Streifen an der Seite, eine weiße Naht. Eine Popper-Cordhose ist das. Ich schaue aus dem Fenster, wir fahren am Krankenhaus vorbei.
    Ich denke daran, wie ich in der Rollerdisco mit Nicole rückwärts fahre. Hand in Hand fahren wir über die Bahn und alle anderen schauen uns zu, weil wir so schnell und so sicher fahren. Und weil Nicole so schön aussieht. Aus den Lautsprechern kommt Musik und wir fahren den Lichtpunkten hinterher, die die Discokugel über die Bahn wirft.
    An einer Haltstelle steigen drei Männer in Anoraks ein.
    Ich stelle mir vor, wie ich Nicole frage, ob sie mit mir an der Bar etwas trinken möchte. Es gibt eine Bar in der Rollerdisco. Wir fahren immer noch rückwärts. Ich lege den Arm auf ihren Rücken und drehe sie um. Möchtest du etwas trinken, Nicole? Wollen wir eine Cola trinken?
    Gern, sagt sie. Ihr Gesicht glänzt im Scheinwerferlicht. Ich muss lächeln, und wir halten uns an den Händen.
    Die Männer in den Anoraks kontrollieren die Fahrscheine.
    Scheiße, sagt René und verzieht das Gesicht.
    Wieso, hast du keinen Fahrschein dabei oder was?, fragt Tina. Sie dreht sich zu den Männern um. Nicole guckt mich von der Seite an.
    Die Fahrscheine, sagt der Kontrolleur.
    Er hat einen großen, braunen Schnurrbart im Gesicht. Tina, Nicole und ich zeigen ihm die Fahrscheine. René kramt in seiner Jackentasche herum. Der Kontrolleur steht im Gang. Er hat keine Uniform an. René zeigt dem Kontrolleur seine Monatskarte. Der Kontrolleur nickt und macht bei dem Mann hinter uns weiter, dem Mann mit der Plastiktüte.
    Ich schaue auf den Boden. Ich gucke mir die Schuhe an. Tina und Nicole haben die gleichen Stiefel. Sie sehen wie Reitstiefel aus, mit einem Muster an der Seite. René hat seine Turnschuhe an. Ich selbst habe Winterhalbschuhe an, die innen gefüttert sind. Ich weiß, dass man jetzt etwas sagen muss. Man kann nicht so einfach vor sich hin gucken. Man muss etwas sagen.
    Was kostet das nochmal, sich Rollerskates auszuleihen?, frage ich.
    Drei Mark, sagt Nicole. Sie lächelt. Wir fahren an einem Hochhaus vorbei, in dem unten eine Bank drin ist.
    Mein Gesicht wird rot, ich spüre es.
     
    103
    Im Flur brennt Licht. Das heißt, dass meine Mutter wach ist. Mir ist kalt, ich bin aufgewacht, mein Pyjama ist nass. Sie ist unten in der Küche oder im Wohnzimmer. Es ist mitten in der Nacht und meine Mutter schläft nicht. Ich höre der Heizung zu. Die Heizung gluckst in der Ecke. Man muss mit der Rohrzange die Luft ablassen. Dann hört das Glucksen auf. Ich höre der Heizung zu. Hört das denn niemals auf, denke ich.
    Die Treppe knarzt unter meinen Füßen. Es ist mir egal, ob sie knarzt oder nicht. Ich stehe vor der Wohnzimmertür. Die Fliesen sind kalt an meinen Fußsohlen. Im Wohnzimmer flackert blaues Licht. Meine Mutter sieht fern. Ich kann Musik durch die Tür hören. Und Stimmen.
    Ich öffne die Tür. Ich habe nicht angeklopft.
    Im Fernsehen läuft eine Frau eine Straße hinunter. Es ist Nacht. Man kann die Frau nur erkennen, wenn sie unter einer Straßenlaterne durchläuft. Sie schaut über ihre Schulter, ob ihr jemand folgt. Sie verliert ihre Handtasche. Die Handtasche rutscht ihr von der Schulter. Sie bleibt auf der Straße liegen. Die Frau rennt weiter, sie schaut bloß über die Schulter zurück, sie hebt die Handtasche nicht auf.
    Meine Mutter liegt auf dem Sofa. Ihr
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