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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Gesicht ist weiß. Ihre Augen sind geschlossen. Ihr Mund steht offen. Ihre Augen sehen groß und dick aus unter den geschlossenen Lidern. Geschwollen sehen sie aus, als hätten sie eine Krankheit. Als müsste man sie mit einer Salbe einreiben. Ich schaue meine Mutter an. Sie hat nicht gehört, dass ich hereingekommen bin. Sie atmet auf dem Sofa. Die Wolldecke ist heruntergerutscht.
    Ich decke sie zu bis zum Hals. Ich setze mich auf den Fußboden und gucke dem Film zu.
     
    104
    Meine Mutter hat etwas aus dem Krankenhaus mit nach Hause gebracht. Wie andere Leute eine Erinnerung aus dem Urlaub mit nach Hause bringen. Ein Mitbringsel oder ein Andenken. Viele Grüße aus Kitzbühel , steht auf so einem Andenken. Es ist eine rote Plastikkiste mit einem durchsichtigen Plastikdeckel zum Schieben und mehreren Fächern. Die Kiste steht im Küchenschrank. Ich sitze am Küchentisch. Ich trinke eine Ovomaltine. Ich warte auf meinen Toast, der im Toaster steckt.
    Meine Mutter hat ihren Morgenmantel an. Es ist morgens, da darf sie ihren Morgenmantel anhaben. Sie stellt ihre Kiste auf die Anrichte. Sie schiebt den Plastikdeckel zurück. Sie hat es mir erklärt. Jede Woche geht meine Mutter zu einer Ärztin. Die Ärztin spricht mit meiner Mutter. Sie füllt die rote Kiste wieder auf. In die einzelnen Fächer schüttet sie Tabletten. Tabletten, damit meine Mutter keine Angst hat. Tabletten, damit sie keine merkwürdigen Dinge tut. Tabletten, damit meine Mutter nicht traurig ist. Meine Mutter muss die Tabletten essen, sonst ist alles wie zuvor. Sie hat eine Krankheit. Das ist eine ganz normale Sache, eine psychische Krankheit. Die Fächer in der Kiste bedeuten, wann meine Mutter eine bestimmte Tablette essen muss. Damit sie nicht durcheinander kommt. Sie darf keine Tablette vergessen. Sonst geht es wieder von vorne los. Ich muss aufpassen, dass sie ihre Tabletten in der richtigen Reihenfolge isst.
    Mein Toast springt aus dem Toaster. Er springt in den Adventskranz. Meine Mutter hat einen Adventskranz auf dem Küchentisch aufgebaut. Ich sehe den Adventskranz an, einen großen Teller aus Metall mit Tannenzweigen drauf und vier dicken roten Kerzen. Und einer Scheibe Toastbrot. Meine Mutter schluckt ihre Tabletten.
     
    105
    Ich sitze am Schreibtisch. Ich habe Musik laufen. Ich höre Neue Deutsche Welle. Das ist Musik, bei der man die Worte verstehen kann. Ich höre jetzt Neue Deutsche Welle, ich höre keinen Hard Rock mehr. Ich habe einen Zettel vor mir liegen und meinen grünen Geha-Ink in der Hand. Ich mache mir über Weihnachten Gedanken. Ich muss meine Wunschliste schreiben.
    Ich sitze im Schein meiner Schreibtischlampe. Das Zimmer hinter mir ist dunkel. Meine Bettdecke ist zurückgeschlagen und ich habe meinen Pyjama an. Den Rollladen habe ich noch nicht heruntergelassen. Wind weht einzelne Regentropfen unter dem Licht der Autobahnmasten durch. Ich muss mir etwas wünschen. Ich mache eine Zeichnung auf den Zettel. Ich zeichne einen Hund, der über eine Mauer guckt. Dem Hund hängt die Zunge aus dem Mund. Ich weiß nicht, was ich mir wünsche.
    Ich mache die Musik aus.
    Unten geht meine Mutter vom Wohnzimmer in die Küche. Ich höre, wie sie die Terrassentür auf kipp stellt. Meine Mutter raucht in der Küche. Danach nimmt sie ihre Tabletten und geht ins Bett.
    Ich muss daran denken, wie ich im Kühlschrank abgelaufene Milch gefunden habe. Ich wollte mir einen Kakao machen. Ich habe es erst beim Trinken gemerkt.
    Mama, habe ich gesagt, komm mal. Meine Mutter ist aus dem Wohnzimmer gekommen.
    Probier mal die Milch, habe ich gesagt. Meine Mutter hat einen Schluck aus der Packung genommen. Und?, habe ich gefragt. Meine Mutter hat mich angeguckt.
    Was?, hat sie gefragt.
    Die Milch ist sauer, habe ich gesagt. Merkst du das denn nicht? Die ist schon zwei Tage abgelaufen. Das kann doch nicht sein, dass man das nicht merkt.
    Meine Mutter hat mich angeschaut mit einem Milchschnurrbart.
    Ich habe es nicht gemerkt, hat sie gesagt.
    Das weiß ich, habe ich gesagt. Das ist es ja gerade.
    Ich mache das Schreibtischlicht aus. Da ist wirklich nichts. Ich habe keine Wünsche.
     
    106
    Hallo, sagt Mark. Er hat mir die Tür aufgemacht.
    Er stützt sich am Türrahmen ab. Er hat einen Pullover aus Wolle an, auf dem Kamele abgebildet sind.
    Hallo, sage ich.
    Willst du reinkommen?, fragt er.
    Ich schüttele den Kopf. Ich wollte dich fragen, ob du mit mir Fahrrad fährst, sage ich. Mark dreht sich um und schaut ins Haus. Als würde ihm das beim Überlegen
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