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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Ich warte, sage ich.
    Ach so, sagt René. Klar.
    Ja, sage ich.
    Wir hören eine Weile der Telefonleitung zu, wie sie zwischen uns schweigt. Ich höre jemand anderes wählen, irgendwo. Ich höre dem Klacken zu, eine achtstellige Nummer. Manchmal hat man plötzlich ein Gespräch in der Leitung. Man hört, wie sich zwei fremde Menschen unterhalten.
    Na denn, sagt René. Bis morgen oder so.
    Tschüs, sage ich.
    René legt auf und ich stehe da mit dem Hörer in der Hand.
    Ich setze mich im Wohnzimmer auf das Sofa.
    Ich habe schon abgewaschen, da war nicht viel abzuwaschen. Weil ich morgens mein Messer und den Teller immer gleich abspüle. Staub gesaugt habe ich auch. Ich habe sogar das Waschbecken im Badezimmer abgewischt.
    Ich mache den Fernseher an. Eine Frau macht vor, wie man aus einem grünen Stück Papier einen Kranich faltet. Ich kenne die Frau. Sie ist mit einem Mann aus Japan verheiratet, aber ich habe ihren Namen vergessen. Origami heißt das Falten. Irgendwie falte ich immer mit, wenn ich ihr zusehe, nicht wirklich mit Papier, sondern im Kopf. Ich falte einen Kranich im Kopf. Ich falze eine Kante und klappe die eine Seite von dem Papier über die andere. Frau Schickele oder so. Aber es klingt nicht japanisch.
    Ein Auto fährt an unserem Fenster vorbei. Es ist ein silberner Opel. Es ist nicht meine Mutter.
    Ich sitze auf dem Sofa. Ich blicke den Fernseher an. Ich blicke durch den Fernseher hindurch. Ein Auto hält mit laufendem Motor vor unserem Fenster.
    Es ist ein Taxi. Meine Mutter gibt dem Mann Geld. Ich bin zum Fenster gegangen. Meine Mutter steigt aus. Der Mann holt ihre Tasche aus dem Kofferraum. Meine Mutter sieht das Haus an. Sie kann mich nicht sehen, wie ich hinter der Gardine stehe. Der Mann sagt etwas. Auf Wiedersehen, sagt er. Ich kann es an den Lippen ablesen. Meine Mutter nimmt die Tasche in die Hand. Der Taxifahrer ist in sein Taxi gestiegen. Meine Mutter steht vor unserem Haus. Das Taxi fährt weg. Sie sieht normal aus. Wie ich sie aus dem Krankenhaus in Erinnerung habe. Sie hat ihren Mantel an. Ich kann nicht erkennen, ob ihre Mundwinkel zucken. Sie sieht aus wie meine Mutter. Meine ganz normale Ochsenzollmutter. Es klingelt an der Haustür. Ich mache die Haustür auf.
    Ich bin beinahe so groß wie sie. Hallo, sagt sie.
    Hallo, sage ich. Sie hat ein blasses Gesicht. Ihre Lippen sind ein Strich in einem blassen Gesicht. Ein Strich, der sich biegt. Meine Mutter lächelt. Sie freut sich, wieder zu Hause zu sein. Das kann man an dem Strich ablesen.
    Mein Gesicht steckt in ihrem Mantel. Wir haben uns in den Arm genommen, meine Mutter und ich. Sie ist wieder zu Hause. Sie ist zu Hause.
    Mama, sage ich, aber ich kann nicht reden. Das kommt von der Wolle in meinem Gesicht, von der Wolle von ihrem Mantel, von der Wolle von dem Mantel von meiner Mutter. Irgendetwas tut weh. Es tut weh, weil wir uns drücken. Ich drücke meine Mutter. Meine Mutter drückt mich. Ich kann nicht reden. Die Haustür steht offen. Ihre Tasche steht noch auf dem Tritt.
     
    101
    Meine Mutter sitzt am Tisch und raucht. Ich stehe in der Küchentür, sie zieht an einer Zigarette. Mama, sage ich. Sie schaut zu mir auf. Sie hat ihren Morgenmantel nicht an. Sie hat normale Kleidung an, eine Hose und einen Pullover, das ist ein gutes Zeichen. Sie drückt die Zigarette in ihren Aschenbecher. Sie klappt den Deckel zu. Rauch kreiselt unter dem Deckel hervor, dann hört er auf zu kreiseln.
    Ich wollte Essen machen, sagt meine Mutter. Ich wollte Nudeln machen, wie du sie gerne magst. Makkaroni mit Tomatensoße, mit Gewürznelken. Willst du mir helfen? Du kannst die Soße machen, wenn du willst. Ich sage dir, wie es geht.
    Gut, sage ich.
    Gut, sagt meine Mutter.
    Ich hole eine Dose Tomatenmark aus dem Küchenschrank. Meine Mutter setzt die Makkaroni auf. Ich öffne die Dose mit dem Öffner. Ich stelle die Pfanne auf den Herd. Meine Mutter hat sich zurück an den Tisch gesetzt. Sie hat sich eine Zigarette angesteckt und schaut mir zu. Ich habe Öl in der Pfanne heiß gemacht. In das Öl gebe ich das Tomatenmark. Aus der leeren Dose gebe ich etwas Wasser hinzu. Ich verrühre das Tomatenmark mit dem Wasser. Ich pfeife eine Melodie. Es ist die Melodie von Flipper, die ich pfeife. Die Melodie ist in meinem Kopf. Ich hole die Gewürze aus dem Küchenschrank. Salz, Pfeffer und Gewürznelken. Gewürznelken sind die Spezialität. Man darf nicht darauf beißen, genau wie bei Kapern. Ich gebe die Gewürze in die Soße. Ich probiere mit einem
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