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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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mich kann sie nicht täuschen, es ist etwas in der Luft, ein Geruch, der nicht von uns kommt.
    Ich gehe die Treppe hinunter, Stufe für Stufe. Ich höre dem Regen zu, den man im Flur hören kann. Man hört ihn von oben, vom Dachboden, durch die geschlossene Luke hindurch, wie er auf das Dach trommelt. Und das abfließende Wasser.
    Im Wohnzimmer sitze ich auf dem Sofa. Dann mache ich eine Schallplatte an. Die Schallplatte liegt schon auf dem Teller. Sie gehört meiner Mutter. Tante Margret hat sie gehört. Auf dem Cover ist ein Neger mit Zöpfen abgebildet. Man sagt eigentlich nicht mehr Neger, man sagt jetzt Farbiger. Der Farbige heißt Bob. Bob Marley steht auf der Platte. Die Musik passt zu Regen. Ich liege auf dem Teppich im Wohnzimmer. Ich bin klein. Ich habe mich klein gemacht auf dem Teppich. Ich denke darüber nach, mir Nutella aus der Küche zu holen. Ich könnte Nutella aus dem Glas mit dem Finger essen. Ich höre der Musik zu. Ich habe die Augen geschlossen. Ich mag den Regen nicht angucken.
    Ich hole mir die Regenjacke von oben. Sie hängt im Schrank von meiner Mutter. Dabei könnte man sie auch zu einem Täschchen zusammenfalten, das man sich um den Bauch gürten kann. Sie könnte auch in der Schublade von der Kommode liegen. Es ist eine Adidas-Regenjacke. Dunkelblau mit weißen Streifen.
    Ich ziehe meine Allround-Turnschuhe an. Die sind auch von Adidas. Das sind halbhohe weiße Stiefel mit schwarzen Streifen. Ich sitze auf der Treppe und binde mir die Schuhe zu. Ich setze mir die Kapuze auf. Ich schnüre sie eng um den Kopf. Jonas, das Regenkind.
    Es ist kein Mensch auf der Straße. Ich habe die Faust in der Hosentasche geschlossen. Regen läuft mir über das Gesicht. Meine Jeans wird nass. Ich mache einen Bogen um die Pfützen. Ich gehe durch den Regen. Keine Ahnung, wohin. Ich gehe einfach immer weiter. Bis ich nass genug geworden bin. Bis ich selber Regen geworden bin. Der Himmel ist an einigen Stellen heller als an anderen. Ich werde nass. Es spielt keine Rolle. In einigen Häusern brennt schon Licht, in den Wohnzimmern. Ich stelle mir vor, wie es wäre, jemanden zu treffen, René oder Mark.
    Hallo, sagt Mark. Was machst du hier im Regen?
    Nichts, sage ich. Ich gehe. Einfach so. Es ist wichtig.
    Wir haben lange nichts voneinander gehört, sagt Mark. Wie kommt das?
    Weiß nicht, sage ich.
    Hm, macht Mark. Wir sind doch Freunde, oder?
    Schätze schon, sage ich. Klar.
    Mark sieht mich an. Er nickt. Wie kommt es eigentlich, dass wir nie miteinander reden?
    Wie meinst du das?, frage ich. Wir reden doch miteinander.
    Nein, sagt er, tun wir nicht. Nicht richtig.
    Hm, mache ich.
    Er hat keine Regenjacke an, keine Kapuze, keinen Schirm, nichts. Das Haar hängt ihm pitschnass ins Gesicht und die Tropfen laufen.
    Und was machst du hier im Regen?, frage ich.
    Nichts, sagt Mark. Ich gehe auch bloß, einfach so.
    Wir grinsen uns an.
    Meine Mutter kommt nach Hause, sage ich.
    Echt?, fragt Mark.
    Ja, sage ich.
    Wann?, fragt er.
    Bald, sage ich.
    Und?, fragt er.
    Weiß ich noch nicht, sage ich. Weiß nicht. Sie kommt einfach bloß nach Hause, schätze ich.
    Hm, macht Mark.
    Ein Flugzeug donnert durch den Regen.
    Mir fällt auf, dass mein rechter Schuh durch ist. Ich habe einen nassen. Ich bin durch eine Pfütze gegangen.
    Ich stelle mich an der Bushaltestelle unter.
     
    97
    Dann ist die Stimme wieder da. Die Stimme sagt: Du bist schuld. Mit dir hat es angefangen. Du bist kein gutes Kind. Du hast sie nie in Ruhe gelassen. Du hast immer nur an dich gedacht.
    Nein, sage ich.
    Doch, sagt die Stimme. Es ist sehr schwarz um mein Bett.
    Du kannst es nicht ändern, sagt die Stimme. Du bist bloß ein Kind.
    Es beginnt heller zu werden. Ich bin vor dem Wecker aufgewacht. Ich liege in meinem Bett. Ich denke an den Winterurlaub von vor zwei Jahren, ich weiß nicht, warum. Ich denke daran, wie ich im Schlepplift stehe. Am Anfang konnte ich nicht mit dem Schlepplift fahren, ich bin immer herausgefallen. Jetzt stehe ich wieder im Schlepplift. Ich fahre den Berg hinauf und plötzlich hält der Lift an, einfach so. Es ist still um mich herum. Links und rechts wachsen Tannen. Wind weht losen Schnee über meine Skier, die in den Schleppspuren liegen. Ein paar Meter weiter hängt ein Mädchen mit einem hellblauen Anorak im Lift. Sie hat eine enge Skihose an. Ich stelle mir vor, dass ich den Lift angehalten habe. Ich habe mit den Fingern geschnipst und die Welt hat aufgehört sich zu bewegen. Ich habe die Welt angehalten. Ich bin der
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