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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste
Autoren: Kai Meyer
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Unsinn!
    »Verzeihen Sie, Fräulein«, sagte er steif, »Sie kommen vom Schiff, nicht wahr?«
    »Ich wüßte nicht, was das einen dahergelaufenen –«
    » Verzeihen Sie«, sagte er noch einmal, jetzt mit Nachdruck, »aber haben Sie dieses Tier an Land gebracht?«
    »Ich … ja, das heißt … nein!« Warum mußte sie sich nur so ungeschickt anstellen? Ihr Zorn blieb derselbe, doch mit jeder Sekunde, die verging, nahm ihre Bereitschaft ab, auch entsprechend zornig zu handeln.
    »Die Einfuhr von Tieren ist verboten«, sagte er, »abgesehen von Rindern, Schweinen und Schafen. Das da« – er deutete auf den Blutfleck – »war gewiß nichts von all dem.«
    »Es ist beruhigend, daß Sie als Soldat den Unterschied feststellen können«, erwiderte sie. »Die Menschen hier müssen sich sehr sicher fühlen.«
    Einer der Männer im Hintergrund wollte erbost vortreten, doch sein Kamerad hielt ihn zurück und schüttelte stumm den Kopf.
    Der junge Kerl, der geschossen hatte, betrachtete Cendrine von oben bis unten, mit einer Ruhe, die sie nur noch wütender machte.
    »Ich könnte Sie verhaften lassen, Fräulein, ist Ihnen das klar?«
    »Werden Sie Ihrem Vorgesetzten erzählen, daß Ihnen eine Frau ins Gesicht gespuckt hat?«
    Er ging nicht darauf ein. »Sie haben unerlaubt ein Tier in dieses Land eingeführt. Ein Kaninchen noch dazu. Wissen Sie, wie viele Kaninchenplagen wir hier allein in den letzten zehn Jahren hatten?«
    »Es gehörte einem Kind. Es war ein Schoßtier, das in einem Käfig gehalten wurde.«
    »Gewiß wäre es mir bereits früher aufgefallen, wenn es in einem Käfig die Straße heruntergelaufen wäre!«
    »Sie finden das lustig, nicht wahr?«
    Er straffte seine Haltung, bis sie glaubte, ihm müßten alle Knöpfe und Abzeichen von der Jacke springen. Zum ersten Mal verzogen sich seine Mundwinkel. Ihr wurde klar, daß er sich nur mit Mühe ein Lachen verkniff, schon die ganze Zeit über. Spucke hin oder her, sie amüsierte ihn. Und das machte sie wirklich wütend.
    »Wenn ich wüßte, wo, würde ich auf der Stelle eine Beschwerde über Sie einreichen.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an, Fräulein.«
    Ein wenig hilflos, aber in der Gewißheit, daß sie sich bereits zu weit vorgewagt hatte, um jetzt noch klein beizugeben, zog sie einen Stift und einen winzigen Schreibblock aus ihrer Manteltasche; beides hatte sie immer dabei. »Nennen Sie mir Ihren Namen.«
    »Valerian Kaskaden, Angehöriger der Schutztruppe von Deutsch-Südwestafrika im Range eines –«
    Sie unterbrach ihn abrupt. Vor Schreck hatte sie den Bleistift quer über den Block gezogen, die Spitze hatte die oberen Blätter zerrissen.
    »Kaskaden, sagten Sie?«
    »Jawohl, Fräulein. Ich bin –«
    »Warten Sie.« Mit fahrigen Bewegungen stopfte sie Stift und Papier zurück in ihren Mantel. »Doch nicht Valerian Kaskaden aus Windhuk?«
    Seine Mundwinkel hörten auf zu zucken, und auch der soldatische Gleichmut verschwand von seinem Gesicht. Er wirkte jetzt mindestens ebenso erstaunt wie sie. »Sie sind doch nicht etwa Fräulein Muck?« Er kramte einen Zettel aus seiner Hosentasche und las ab:
    »Zendrine Muck?«
    »Es heißt Cendrine, ein französischer Name. Das C wird wie ein scharfes S und das letzte E überhaupt nicht ausgesprochen.« Dann nickte sie. »Ja, das bin ich.« Und in Gedanken setzte sie hinzu: … fürchte ich.
    »Verzeihen Sie«, bat er sie mittlerweile zum dritten Mal. »Ich habe jemand anders erwartet. Älter, Sie verstehen?«
    Valerian Kaskaden. Grundgütiger! Er war einer der beiden Söhne ihrer künftigen Arbeitgeber, Titus und Madeleine Kaskaden – der Bruder der zwei kleinen Mädchen, Lucrecia und Salome, die sie in Zukunft unterrichten sollte.
    Sie hatte den Sohn jener Menschen bespuckt, die künftig ihr Gehalt zahlen sollten!
    Dann aber fiel ihr wieder das tote Kaninchen ein und damit auch die Tränen, die Friederike darüber vergießen würde. Ganz gleich, wer der Kerl auch war, er hatte verdient, was sie getan hatte!
    Er schien sich entschieden zu haben, den Vorfall nicht mehr zu erwähnen, und gab seinen Begleitern einen Wink. Mit knappen Verbeugungen in Cendrines Richtung verschwanden die beiden Männer im Nebel.
    »Ich bin hier, um Sie abzuholen«, sagte er. »Ich habe Sie schon am Strand gesucht.« Er horchte in den Dunst, aus dem noch immer das Schnaufen der Eisenbahn ertönte. »Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch mit diesem Zug. Der nächste fährt erst morgen früh.«
    Damit faßte er Cendrine an der Hand und
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