Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Ausstrahlung und die Klugheit seiner Worte. Dort, wo andere Mädchen damals die Bravo -Artikel über ihre Lieblings-Popstars hatten, war in Silvies Jugendzimmer eine umfangreiche Sammlung von Zeitungsausschnitten über Karl Hüffart zu finden gewesen. Doch ihr Schwarm war noch unerreichbarer gewesen als diese ganzen Schönlinge aus den Top Ten. Warum sollte ausgerechnet ein Mann wie Karl Hüffart jemals ein Auge auf ein Mädchen wie sie werfen? Er war verheiratet und hatte einen Sohn, immer wieder betonte er in Interviews, wie wichtig ihm seine Familie sei. Da hatte ein verliebter Teenager wie sie keine Chance. Selbst der Plan, die Polizeischule in Bad Iburg zu besuchen, um ihm näher zu sein, schien hoffnungslos. Eine schmerzhafte Erkenntnis, die Silvie niemandem hatte anvertrauen können. Die hätten sie alle für verrückt erklärt.
    »Vergöttert im wahrsten Sinne des Wortes!«, fuhr Wencke fort. »So bin ich schließlich zur Antwort gelangt: Hüffart war für dich wie ein Gott. Und aus diesem Grund musstest du Jan behandeln, wie es eines Gottessohns würdig war. Du hattest nur einen Tag zuvor in dem Sagenbuch von der Ermordung Baldrs gelesen, hattest das mystische Bild noch vor Augen: der von der Welt beweinte Sohn Odins auf einem Floß … Da war dir klar, auf welche Weise du die Leiche zu betten hattest.«
    War es so gewesen? Jetzt, als Wencke es mit ihren Worten auszudrücken versuchte, klang es widerlich lapidar. So als wäre sie damals völlig von Sinnen gewesen. Dabei hatte der Entschluss, den Jungen zu töten, sich für Silvie als goldrichtig erwiesen.
    Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie in dem Moment, als sie zum Messer gegriffen, sich umgeschaut und vergewissert hatte, unbeobachtet zu sein, ob sie in diesem Moment überhaupt die Tragweite des Ganzen erkannt hatte. Im Nachhinein erschien es ihr wie eine instinktive Handlung, naturgegeben und logisch:Der Mann deines Lebens wird dich nie wahrnehmen, denn er hat eine Frau und einen Sohn, die er nie verlassen wird. Doch seine Frau ist eine Trinkerin, er bleibt nur bei ihr, weil es dieses gemeinsame Kind gibt. Sollte Jan jedoch nie wieder zurückkommen …
    Diese Entscheidung hatte Silvies Leben in die richtigen Bahnen gelenkt. Schon am nächsten Tag, als sie sich als wichtige Belastungszeugin bei der Polizei meldete und Frank-Peter Götze hinter Gitter brachte, schon an diesem Tag hatte Alf Urbich sie aus Dankbarkeit in die Parteizentrale eingeladen. Schließlich hatten diese Leute ebenfalls großes Interesse daran, Götze als Täter zu präsentieren. Damit war diese unangenehme Schmiergeldsache vom Tisch. Doch das war für Silvie damals nur ein positiver Nebeneffekt gewesen, viel bedeutender war doch: Von diesem Zeitpunkt an war sie für Karl Hüffart sichtbar geworden.
    Wie könnte die Entscheidung im Wald damals also falsch gewesen sein?
    Irgendwo über ihnen trällerte ein Waldvogel sein hübsches Lied. Karl hatte die Natur geliebt; wenn sie ihn im Rollstuhl durch den Park geschoben hatte, war ihm jedes Pfeifen vertraut gewesen, er hatte die Namen gewusst und sie Silvie verraten, selbst als sich sein Verstand ansonsten schon verabschiedet hatte. All die Sachen, die sie an Karl geliebt hatte, waren trotzdem geblieben.
    »Aber Karl Hüffart hat irgendwann geahnt, dass du es warst, die seinen Sohn ermordet hat, stimmt’s?« Sollte Wencke Tydmers in irgendeiner Weise triumphieren, weil sie so nah an die Wahrheit gekommen war, so ließ sie es sich nicht anmerken. Ihre Miene war ernst, ihr Tonfall klar und fest. »Deshalb musstest du ihn mit diesen Schilddrüsen-Pillen versorgen. Jeden Tag eine Tablette zu viel, oder zwei oder drei. Du kanntest den Beipackzettel gut genug, um zu wissen, dass die Dinger ihm dasHirn vernebeln. Er sollte seinem Verdacht nicht mehr nachgehen können, denn dann wäre dein schönes, komfortables Leben als Gattin von Karl Hüffart mit einem Schlag zu Ende gewesen.«
    »Es ist jetzt auch zu Ende«, stammelte sie. Karl war tot. Er hatte sich erinnert an den Tag, als er das Messer in ihrem Schrank gefunden hatte, das Messer, an dem Reste von Jans Blut klebten und das sie niemals hatte entsorgen können aus Angst, es würde doch entdeckt werden. Das war Karl am Götterfall wieder in den Sinn gekommen. Und dann war sie es gewesen, die für das Ende gesorgt hatte. Vielleicht hatte Wencke schon eine Ahnung, dass es sich am Götterfall so abgespielt hatte, vielleicht auch nicht. Es kam nicht darauf an.
    Wencke griff mit ihrer freien
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher