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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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war: Ein hohes Bett mit klappbaren Seitengittern und Triangel zum Hochziehen befand sich fast in der Mitte des Raumes, das technische Ding auf der Kommode daneben sah wie das Requisit einer Arztserie aus. Zwar bestand die eine Wand aus einem großzügigen Fensterelement, doch man konnte durch die Scheibe nicht in den Garten sehen, denn sie war mit milchiger Sichtschutzfolie beklebt. Niemand hatte dem ehemaligen Spitzenpolitiker bei seinem Lebensabend zuschauen dürfen. Und Hüffart war die Sicht nach draußen versperrt gewesen, kein Wunder, dass seine treu sorgende Gattin für ihn am Ende der Nabel der Welt geworden war.
    Neugierig blieb Wencke vor der Fotowand stehen, die neben dem Fernsehschrank hinter Glas geschützt war. Jede einzelne Aufnahme hätte auch ohne Weiteres in den neueren deutschen Geschichtsbüchern auftauchen können. Die unzähligen schüttelnden Hände gehörten Legenden wie Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, sogar Ronald Reagan und Michail Gorbatschow waren zu bestaunen. Wenckes Blick suchte die Aufnahmen ab und sie war nicht sonderlich überrascht, dass die weltpolitischen Motive in der Überzahl waren. Private Schnappschüsse gab es keine, bestenfalls professionelle Fotografenporträts von Hüffart und Silvie oder Gruppenbilder, in denen eine Handvoll Menschen steif in einem Garten standen. Wencke zögerte kurz, dann traute sie sich doch: »Gibt es gar kein Bild von Jan? Oder von Hüffarts erster Frau?«
    »Das geht dich überhaupt nichts an, Wencke. Sag mir, weswegen du hier bist und warum du meinen Mitarbeiter so unter Druck setzt – und dann verschwinde.«
    Wencke holte das grüne Buch aus ihrem Rucksack. Es roch noch immer nach Tabak und Handschweiß. Sie durfte nicht vergessen, morgen bei der Stadtbücherei Hannover die Leihdauer um eine Woche verlängern zu lassen. »Kennst du das?«
    »Ob ich das kenne?« Hektisch lief Silvie zu einer Flügeltür, schob die Öffnung auf und wies in einen weiteren Raum, der eine Art Bibliothek zu sein schien. »Bücher vom Boden bis an die Decke. Es kann sein, dass ein Exemplar davon auch darunter ist, keine Ahnung, ich habe in meinem Leben einfach schon zu viel gelesen, um mich an alles erinnern zu können.«
    » Das Weltbild nordgermanischer Mythen   – na, klingelt es jetzt? Das Standardwerk zu diesem Thema.« Wencke zeigte auf das Cover: »Das ist Yggdrasil, der Weltenbaum, an seinen Wurzeln sitzen die Nornen Urð, Verðandi und Skuld und verflechten das Schicksal der Menschen.«
    »Was du alles weißt!« Silvie war inzwischen nicht mehr blass, sondern puterrot. Außerdem hielt sie sich so krampfhaft an der Lehne eines Ohrensessels fest, als stünde sie auf einem Hochseeschiff bei Windstärke 12.
    »Und weißt du, welches Bild auf Seite 125 zu finden ist?«
    »Mickey Mouse?«
    »Komm her, ich zeige es dir.« Wencke legte das Buch auf den blank polierten Tisch, sie fand die Seite schnell, denn sie hatte das Foto als Lesezeichen zwischen die Blätter gesteckt. »Schau mal, hier, eine Aufnahme aus unserem Dreibettzimmer in der Akademie. Wie jung du darauf bist, Silvie! Dein Schlafanzug mit den Teddybären ist total süß. Und war das Sahnequark in deinem Gesicht? Das haben wir doch damals immer gemixt, mehr Feuchtigkeit für die alternde Haut ab zwanzig: Quark mit Honig und Zitrone. Ich kann es förmlich riechen, wenn ich jetzt davon rede.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Ach ja, genau, wir haben im Labor das Foto so weit vergrößert, dass wir erkennen konnten, welche Seite du dir in diesem teuren grünen Buch gerade so intensiv anschaust. Es ist die Seite 125, hier, lies mal die Überschrift!«
    »… Die Sage von der Ermordung Baldrs … Wencke, es reicht! Sieh zu, dass du mein Haus so schnell wie möglich verlässt!«
    »Das Foto wurde am selben Tag aufgenommen wie das Bild am Charlottensee. Es war der 18. Januar 1994, der Tag, an dem Jan Hüffart verschwunden ist. Wenn du dich erinnerst: Nur eine Stunde später mussten wir uns wieder anziehen und die Gegend absuchen.«
    »Du bist ja wirklich eine ganz tolle Ermittlerin, Wencke, und wenn ich Zeit hätte, würde ich dich auch bewundern, weil du es so weit geschafft hast bei der Polizei. Doch genau die habe ich nun mal nicht!« Inzwischen hatte Silvie das Buch zugeklappt und es Wencke zurückgegeben. Mit deutlichem Druck legte sie jetzt den Arm auf Wenckes Rücken und versuchte, sie Richtung Flur zu manövrieren. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest!«
    »Entschuldigen ist ein gutes
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