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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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es etwas trockener ist«, sagte er. Und das war doch schon mal nicht schlecht für den Anfang.
    [16. Juli, 10.39 Uhr, Schlossküche , Herrenhäuser Gärten,
    Hannover, Deutschland]
    Sie setzten sich an denselben Ecktisch, an dem damals das unschöne Treffen mit dem Anwalt stattgefunden hatte. Die nassen Jacken hingen tropfend an der Garderobe und alle hatten noch Regen in den Haaren. Frau Mahlmann setzte sich ganz selbstverständlich neben Lena, was Wencke unfassbar erleichterte.
    Lena legte das Foto mitten auf den Tisch. »Das ist alles, was ich von meiner Mutter habe. Nur diese eine Aufnahme, die Sie zu den Adoptionspapieren gelegt haben.«
    »Das geschah damals gegen den Willen meines Mannes. Wissen Sie, er war mit der ganzen Situation hoffnungslos überfordert, noch mehr als ich, Männer sind da ja immer sehr verschlossen. Er wollte, dass mit der Adoption diese Sache ein für alle Mal ausgestanden ist. Was übrigens nicht im Geringsten funktioniert hat, er leidet noch immer furchtbar.«
    »Warum dieses Bild?«, fragte Lena. »Man erkennt meine Mutter kaum.«
    »Es ist die letzte Aufnahme von Dorothee. Wir haben den Film in ihrer Kamera gefunden und entwickeln lassen, als sie schon hochschwanger im Heim gelegen hat. Leider ist sie nur auf diesem einen Foto hier zu sehen. Die anderen Bilder muss Dorothee alle selbst geknipst haben, damals hatte ja noch nicht jeder diese modernen Digitalkameras mit Selbstauslöser.« Frau Mahlmann nahm das Bild in die Hand und betrachtete es näher.»Wirklich, man kann kaum etwas erkennen. Aber ich wollte, dass du deine Mutter sehen kannst, wie sie war, kurz bevor diese Sache mit der Embolie sie so stark verändert hat.«
    »Wie war sie denn?«, fragte Lena.
    »Wild«, sagte Frau Mahlmann. »Ich hab meine Tochter bewundert für ihre Unangepasstheit. Gesagt hab ich es ihr aber nie, natürlich nicht, eine Mutter muss ihr Kind schließlich zu einem anständigen Menschen erziehen.«
    »Und sie war klug«, ergänzte Wencke. »Sie hat immer versucht, die Dinge um sich herum wirklich zu begreifen.«
    Alle schauten Götze an. Der fühlte sich offensichtlich überrumpelt. »Doro war eine Granate«, brachte er nur hervor und alle lachten.
    »Ja, das war sie!«, sagte Frau Mahlmann und öffnete ihre Handtasche. »Ich habe übrigens noch mehr Fotos dabei. Weil ich damit gerechnet hatte, dass Frau Tydmers mit mir über Dorothee reden will, habe ich vorhin noch aus dem großen Karton ein paar Aufnahmen rausgesucht. Auf einigen sind sogar Sie abgelichtet, Frau Tydmers …«
    Die Fläche des Tisches glich kurz darauf einem gigantischen Album, es blieb kaum Platz für den Kaffee, den der Kellner zwischendurch brachte.
    Doro als kleines Mädchen, damals schon mit widerspenstigen Locken und Löchern in der Jeanshose, daneben ein Karnevalsbild, in dem sie stolz eine Polizeiuniform trägt. Frau Mahlmann erzählte noch farbiger, als die Bilder es jemals sein konnten. Sie erinnerte sich an typische Redewendungen und als sie ihre Stimme verstellte, glaubte man für einen kurzen Moment, Doro säße mit am Tisch. Doro bei ihrer Konfirmation  – damals gab es eine unglaubliche Frisurenmode, stellte Lena fest  –, Doro in schillernder Abschlussballmontur, in der sie verkleideter wirkt als auf dem Bild mit der Uniform. Ihr damaliger Freund war ein Punk gewesen, Nasenring und Irokesenschnitt,laut Frau Mahlmann ein unmöglicher Typ. Da gab sogar Götze ihr recht. Dann fanden sich Bilder von der Dienststelle, wo Doro ihr erstes Anwärterjahr verbracht hatte, dieses Mal trug sie ein echtes kackbraunes Polizeihemd und eine dieser kompostgrünen Polyacryl-Krawatten, bei deren bloßem Anblick Wenckes Hals wieder zu jucken begann.
    Und schließlich breitete Frau Mahlmann die Aufnahmen aus, die Doro in Bad Iburg gemacht hatte.
    Wenckes Herz klopfte deutlich schneller, als sie sich selbst erkannte, im Schlabbershirt und mit Zahnbürste im Mund. Auf dem Nachttisch neben ihr eine halb volle Flasche Chianti, eine von dieser bauchigen Sorte mit Bastgeflecht, knapp vier Mark im Edeka, das war für sie damals das Höchste an Weingenuss gewesen. Mein Gott, damals!
    Dann Silvie im Bett sitzend, mit Satinpyjama und irgendeiner weißen Schönheitsmaske im Gesicht, einen Schokoladenriegel in der Hand. Es sah aus, als hätte sie gar nicht mitbekommen, dass sie gerade fotografiert wurde, viel zu sehr war sie in dieses Buch versunken … Wencke hielt das Bild näher heran. Ein dunkelgrüner Einband, halb verdeckt, doch an einer
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