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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Sven Böttcher
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herumzwirbelte.
    «Götter», sagte Erasmus. «Ich wiederhole meine Bitte. Ruft eure Blitze und Äpfel zurück … auf dem Weg, den sie gegangen sind, sodass keine Folgen bleiben.» Er verstummte. Extrawünsche schossen querfeldein durch seinen Kopf. Hitler, Goebbels, Mengele. Thatcher, Reagan, North. Hussein, Bush, Bin Laden. Manson, Oswald, Chapman. Bohlen … Er schüttelte die Namen ab. Entweder oder.
    «Keine objektiven Folgen für die Menschen …»
    «Nein», knurrte Zeus trotzig. «Die Idee war gut, und sie ist es noch.»
    «Ja. Finde ich auch», brummte Odin zustimmend.
    «Anfangs», sagte Erasmus. «Anfangs, ja. Aber euer eigentliches Ziel hattet ihr schon nach sehr kurzer Zeit erreicht. Was danach kam, hat niemandem genützt. Also …»
    Zeus musterte die Sterblichen der Reihe nach und fragte sich, wie weit ihre Phantasie reichen mochte. Odin stellte sich die gleiche Frage, und beide kamen zum gleichen unerfreulichen Ergebnis.
    Gleichzeitig entließen sie einen tiefen, lauten Seufzer in die Senkenluft. Gleichzeitig konzentrierten sie sich auf ihre Handlanger und befahlen den sofortigen, kontrollierten Rückzug.
    Dinge veränderten sich.
    «Das war’s», seufzte Zeus nach einigen langen Sekunden, und Odin nickte.
    «Ich danke euch», sagte Erasmus.
    «He, Fussel», mischte sich Cameron ein. «Was machen wir, wenn die Brüder uns reingelegt haben?»
    «Dann kommt ihr wieder», sagte Athene lächelnd. «Und das wissen die beiden. Also werden sie sich hüten.»
    «Schon gut», sagten Zeus und Odin unisono und konzentrierten sich erneut. Diesmal dauerte es wesentlich länger. Aber diesmal verkniffen sich die beiden auch sämtliche Tricks.
     
    «Werden sie … bestraft?», fragte Gwenddolau die Göttin der Weisheit, als sie vor dem Tor standen.
    Athene schüttelte den Kopf. «Nichts ist geschehen. Ihr habt euch entschlossen, in eure Welt zurückzukehren …» Die fünf nickten unterschiedlich heftig. Alles war besser als eine solche Welt, und niemand wollte ernsthaft zu dieser Bande gehören.
    «Also», fuhr Athene fort, «wird sich, jedenfalls hier, nichts verändern, nicht einmal die Zahl der Unsterblichen …» Sie überlegte kurz. «Will wirklich keiner von euch bleiben? Ihr hättet es verdient, und die mythologische Einordnung ließe sich fraglos bewerkstelligen.»
    Die fünf schüttelten erneut die Köpfe.
    «Ich glaube», sagte Erasmus, «wir hängen doch ein bisschen mehr an den Menschen, als wir zugeben würden.»
    Athene zuckte die Achseln. «Es ist eure Entscheidung. Ich muss sie nicht begreifen.» Zum letzten Mal betrachtete sie die fünf Gestalten, die der Zufall auserwählt und an ihr Ziel geführt hatte. «Nun denn», sagte sie. «Lebt wohl, ihr Menschen.»
    Die Sterblichen wandten sich von ihr ab und gingen auf das Tor zu. Athene wartete, und Erasmus enttäuschte sie nicht.
    «Ach», sagte er kurz vor dem Tor und drehte sich um. «Eine Frage noch …»
    «Ja?»
    «Ich habe versucht, Ares aus diesem Tal, dieser Senke zu werfen. Ich habe versucht, wirklich konzentriert versucht, mir vorzustellen, was dort sein könnte, aber es ist mir nicht gelungen. Könntest du mir sagen, was jenseits der Berge liegt?»
    «Es ist unendlich, ewig, unveränderlich, vollkommen, allmächtig, allgegenwärtig, allwissend und wahr.»
    «Mit anderen Worten», murmelte Cameron um ein halbes Streichholz herum, «du hast keine Ahnung.»
    «So könnte man sagen.»
    Erasmus nickte, drehte sich um und ging voran.
    Es gab keine rührenden Abschiedsszenen vor dem Tor. Keiner der Sterblichen dachte daran, dass sie einander niemals wiedersehen würden. Und wenn man ein bisschen gründlicher darüber nachdenkt, war das wohl auch nicht weiter schlimm.
    Was hätten sie schon sagen sollen? Auf Wiedersehen?

10
    Der Sturm war vorüber. Über eine ruhige See rollten hier und da kleine Wellen, ausgelöst von historisch bedeutsamen Enthüllungen, die einzelne Kapitel der großen Menschenfabel Geschichte plötzlich als lupenreine Belletristik entlarvten. Unbeeindruckt vom leisen Plätschern dieser Wellen glitt das große Schiff, auf dessen Bug in verwitterten Lettern MS
Menschheit
geschrieben stand, durch die endlose Wasserwüste. Der eine oder andere Passagier hing grün und krank über der Reling, aber die meisten sonnten sich entweder seelenruhig in ihren Liegestühlen oder mühten sich nach Kräften, das Schiff auf seinem ungewissen Kurs zu halten.
    Das war die Oberfläche.
    Darunter jedoch war vieles nicht mehr an seinem
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