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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Sven Böttcher
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Liebe. Aphrodite trägt grundsätzlich nichts, außer einem magischen Gürtel, durch den ihr alle Männerwelt rettungslos verfällt. Sie ist unbeschreiblich schön, der Gerechtigkeit halber aber auch unbeschreiblich naiv und lässt sich praktisch mit allem ein, was keine Frau ist. Sehr zur Freude der Götter und sehr zum Verdruss der Göttinnen.
    Nun fehlt, um das saubere Dutzend vollzumachen, nur noch Zeus, der Göttervater. Diesen Titel hat er sich redlich verdient, und zwar in jeder Hinsicht. Sein Vater, der bereits oben erwähnte Kronos (nicht Chronos, der ist eine Promotion-Erfindung helvetischer Uhrmacher), hatte nämlich sämtliche Geschwister des Zeus in weiser Voraussicht gefressen und erklärte sich erst nach Einnahme eines von Zeus gebrauten Brechmittels bereit, die Blagen wieder auszuspucken. Ob es allerdings eine gute Idee war, Zeus daraufhin zum obersten Käse zu küren, ist und bleibt fraglich. Immerhin hat er fast alle Frauen, die sich unvorsichtigerweise in seine Reichweite begaben, entweder galant verführt oder, falls ihnen das nicht spontan zusagte, weniger galant vergewaltigt. Zeus hat entsprechend viele Kinder, mit denen er, sofern sie weiblich sind und langsamer als er, nicht anders verfährt als mit ihren Müttern. Von den zwölf am Tisch sitzenden Göttern sind vier seine Geschwister. Die übrigen sieben sind seine Kinder.
    Was Hera davon hält, können wir nur ahnen. Bisher jedenfalls.
    Letzter Absatz der Randbemerkung: Wer nun meint, mit diesem zierlichen Exkurs alle Personen kennengelernt zu haben, die im Wohnblock «Olympos» eine Rolle spielen, der darf sich im Folgenden eines wesentlich Besseren belehren lassen …
     
    (Wir begrüßen an dieser Stelle alle tollkühnen Leser, die noch immer irrglauben, sich die Lektüre der Randbemerkung schenken zu können.)
    Während Aphrodite und ihr Sohn Eros splitterfasernackt und anmutig auf einer der prachtvollen Liegen Platz nahmen und versuchten, möglichst hinreißend auszusehen – was zumindest Aphrodite mühelos gelang –, trat Apollon neben Athene.
    «Sei gegrüßt, Schwester.»
    «Sei gegrüßt, Apollon. Irgendwelche Neuigkeiten?»
    «Nein», erwiderte Apollon kopfschüttelnd und lehnte seine siebensaitige Lyra gegen eine der Säulen. «Einem der Kentauren ist beim Bockspringen schlecht geworden, aber sonst? Nicht, dass ich wüsste. Kein Mensch ist auf die Idee gekommen, mir für eine gelungene literarische Arbeit oder ein inspiriertes Poem zu danken, falls du das meinst.»
    Mit einem tiefen Seufzer ergriff Athene Apollons Arm und zog ihn mit sich, zurück in den von lauten Gesprächen erfüllten Raum. «Das ist unser Schicksal, mein Lieber. Jeder Gott hat seine Zeit.»
    «Ich weiß. Aber es ist bedauerlich. Sehr bedauerlich … Ach, da fällt mir ein, hast du schon mal von diesem Gott gehört, den sie tatsächlich
Gott
nennen? Was ich im Übrigen ziemlich unverschämt finde.»
    Athene nickte. «Ja, habe ich. Schon häufiger. Ich sehe ihn hin und wieder allein in der Senke stehen. Er macht keinen sehr glücklichen Eindruck. Man munkelt, unter anderem sei ihm der Ausspruch eines sterblichen Philosophen ziemlich an die Nieren gegangen, wenn du die Formulierung erlaubst.»
    «Ja ja,
Gott ist tot

    «Du hast davon gehört?»
    «So was spricht sich schnell rum.»
    Apollon schüttelte den Kopf und brachte sein luftiges Gewand in Ordnung. Was er nicht verstand, war, weshalb dieser sogenannte
Gott
sich das so zu Herzen nahm. Von ihm, Apollon, hatte nie jemand behauptet, er sei tot. Die meisten Sterblichen hatten einfach von heute auf morgen aufgehört, an ihn zu glauben, und das war’s gewesen. Keine Abschiedsworte, keine Grabreden, keine goldenen Armbanduhren, kein Dank: Er hatte aufgehört zu existieren – zumindest in den Köpfen der meisten Menschen – und von diesem Moment an ohne Lob und Preisung weiterarbeiten müssen. Wie all die anderen Götter. Nicht nur jene, die hier in Olympos herumsaßen und -lagen und die Ewigkeit totschlugen, auch die Asen, die ägyptischen, keltischen und einige Millionen der vergessenen indischen Gottheiten. Anders als die konnte der Griechengott fast noch von Glück sagen, dass sich wenigstens ein Erdenvolk noch sprichwörtlich an ihn und seine alte Leier erinnerte.
    Apollon sah auf und betrachtete die versammelten Götter. Sein Blick fiel auf den feisten Dionysos, der schnarchend in einer der Ecken lag. Apollon konnte den kleinen fetten Säufer nicht ausstehen. Er verzog das Gesicht und wandte sich
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