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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Sven Böttcher
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wieder an Athene.
    «Wo ist eigentlich Vater?»
    «Ich weiß nicht», sagte Athene unsicher und sah sich um. Zeus war nicht da, und das war ungewöhnlich. Normalerweise fand er sich zu dieser unsterblichen Stunde immer zur Versammlung ein, vor allem, um mit seinem sauberen Söhnchen Dionysos einigen Hektolitern Wein den Garaus zu machen oder, wie er selbst es nannte, «nett was zu trinken». Er war der Einzige, der diese Formulierung wählte, weil außer ihm niemand etwas «nett» daran fand, dass der Göttervater soff wie ein Loch.
    Zeus konnte nämlich nichts vertragen.
    Spätestens nach einem halben Becher Wein begann er grundsätzlich ausfallend zu werden und außerordentlich geschmacklos über die Geburt seiner klugen Tochter Athene zu scherzen. Was in der Regel damit begann, dass er über ihre Mutter herzog, die Titanin Metis. Jene Metis, die er zuerst heimtückisch geschwängert und dann überredet hatte, sich in eine Fliege zu verwandeln, um sie anschließend einfach zu verschlucken.
    «Ist doch nichts dran an sonner Fliege», pflegte Zeus also nach dem ersten halben Becherchen Wein anzusetzen, um anschließend erst mal gepflegt aufzustoßen und einen Donner durch den Raum krachen zu lassen. Da nach dem Verschlucken der Fliege Metis Hephaistos, Zeus’ wenigstgeliebter Sohn, eingegriffen und den Schädel seines Vaters äußerst unsanft mit einer Axt geöffnet hatte, kam der Göttervater unweigerlich und wenig originell bei jedem seiner weinseligen Ausbrüche zur Schlussfolgerung, seine Tochter Athene könne man sich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Kopf schlagen.
    Und spätestens nach dieser Bemerkung wandten sich all die anderen Götter jedes Mal von Zeus ab und gingen kopfschüttelnd wieder irgendwelchen nutzlosen Beschäftigungen nach. Nur Dionysos hörte seinem Vater anschließend weiter zu. Zum einen, weil der Göttervater nie über Semele herzog, Dionysos’ leibliche Mutter, die Zeus mit einem Blitz gestraft hatte, weil sie sich mit der uralten Ausrede, sie habe Kopfschmerzen, vor ihm hatte drücken wollen. Da die Mutter nach dem Blitzschlag mausetot gewesen war, hatte Zeus Dionysos in seinem Oberschenkel ausgetragen, und damit kommen wir zum zweiten Grund: Sohnemann war aus haargenau dem gleichen Holz geschnitzt wie sein alter Herr, mit anderen Worten genauso schnell blau, und verstand sowieso kein Wort vom Faseln und Lallen des Alten.
    So war es normalerweise.
    Aber diesmal war Zeus nicht da. Zum ersten Mal seit Göttergedenken war Zeus: nicht da.
    «Fragen wir Hera», sagte Athene. «Hera?»
    «Ja, Liebes?» Zeus’ Schwester und Gattin sah von einer reizenden Stickerei auf.
    «Weißt du zufällig, wo dein Mann steckt?»
    Hera ließ einen Blick durch den Raum wandern und stellte verwundert fest, was alle anderen bereits bemerkt hatten.
    «Oh», sagte sie. «Nein. Das ist allerdings merkwürdig. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen?»
    «Was soll dem denn zugestoßen sein, hä?», meldete sich Ares aus seiner Ecke zu Wort und klapperte aggressiv mit einigen Rüstungsteilen. Er klang wieder mal, als wolle er jeden verprügeln, der darauf eine falsche Antwort gab. Oder eine richtige.
    «Vorhin war er in der Küche», mischte sich Hebe ein, die gerade unter der Last diverser Ambrosiaplatten aus der Küche wankte. Dionysos kam daraufhin überraschend auf die Füße und schwankte seinen unförmigen Körper auf Hebe zu.
    «Jetssach bloss du hass den an mein Wein gelassen, den miesen alten Suffkopp!»
    Hebe wich angewidert vor der Alkoholwolke zurück. «Welchen Wein?»
    «Na den, den ich da inna Küchnegge hingestellt hap …», murmelte Dionysos, knickte graziös in den Knien ein und landete mit dem Gesicht in einer Schale Weintrauben. Er blieb schmatzend liegen.
    Athene schwante Böses. Bevor sie sich allerdings mit Hilfe ihrer beeindruckenden (weil göttlichen) Phantasie ausmalen konnte, was passiert sein mochte, donnerte ihr Vater gegen den Rahmen des Torbogens, der den Aufenthaltsraum vom Flur trennte.
    Die Götter verstummten.
    Allen war auf den ersten Blick klar, dass etwas nicht stimmte. Einem Sterblichen wäre das natürlich nicht sofort klar gewesen. Ein Sterblicher hätte vermutlich gedacht, Zeus sehe grundsätzlich so pittoresk aus wie an diesem Tag. Aber das war nicht der Fall. Zeus legte Wert auf ein stets unbeflecktes Gewand. Er kämmte und frisierte sich regelmäßig und machte immer einen sehr erhabenen, eleganten Eindruck, sogar, wenn er sturztrunken unter den Tisch kullerte.
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