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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Autoren: Rick DeMarinis
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behielt den Rauch im Mund, bevor er ihn langsam wieder entließ. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Grinsen der Befriedigung. Ein paar Kringel seines gelockten blonden Haares klebten an seiner Stirn: Er sah aus wie ein hedonistischer Römer, der sich nach einem Besuch der latrina erfrischt fühlte.
    »Hui, scheiße, ist das gut«, sagte er.
    »Verdammt gut«, fügte er hinzu und schnappte ein wenig nach Luft.
    Er bot mir keinen Zug an, was mir sehr gelegen kam. Als ich vor zehn Jahren das letzte Mal la mota geraucht hatte, war ich mit dem Auto in einem tiefen Bewässerungsgraben gelandet und wäre beinahe ertrunken.
    Luther paffte den aufgepeppten Stumpen mit der Gleichgültigkeit des reichen Mannes gegenüber Verschwendung. Diese Form von Gleichgültigkeit brachte er vielen Dingen entgegen.
    Die Musik bewegte sich furios auf ihren Höhepunkt aus Blitz und Donnerschlag zu. Vor meinem geistigen Auge sah ich das irre Bild einer Gruppe Nashörner, die es in einem Teehaus miteinander trieben. Thors Hammer fiel — oder Wotans? —, die Wände des Teehauses stürzten ein und die Nashörner polterten in die nichts ahnende Umgebung.
    Luther begleitete das Heulen der Soprane mit seiner rauen Stimme, die lediglich über einen unsicheren Ton verfügte. Das war kein Singen, das war inspiriertes Bellen.
    Das ging eine Zeit lang so weiter. Ich nahm mir eine Zeitschrift. »Haben Grenzen eine Bedeutung?«, lautete der Titel eines Artikels. Der Autor war sich dessen nicht sicher. Untertitel: »Eine willkürlich gezogene Linie im Sand.« Ein Foto von dunkelhäutigen Männern mit Strohhüten ergänzte den Beitrag. Die Männer waren in Handschellen und wurden von USCIS-Agenten (ehedem INS, egal, auf jeden Fall Agenten von la migra ) in einen Bus verfrachtet. Das Foto war wenig schmeichelhaft für die USCIS-Leute: Sie sahen aus wie dickbäuchige SA-Männer, die sich vor den kleinen dunkelhäutigen Männern aufbauten, die in Gewahrsam genommen werden sollten.
    Luther hatte mich früher am Tag angerufen: »Mein Leben ist ein heilloses Durcheinander, J.P. Hilf mir, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, okay, Kumpel?«
    »Man könnte dein Leben durchaus als privilegiert bezeichnen«, hatte ich daraufhin erwidert.
    »Gerade jetzt brauchte ich dein Mitgefühl, J.P.«, sagte er. »Sarkasmus hilft mir nicht weiter. Bitte, komm her.«
    Als ich das dritte Bier intus hatte, war Luthers Stimmung im Keller. Die Musik hatte ihre Wirkung auf ihn eingebüßt. Seine von Sinsemilla gesponserte Reise in die Wagner’sche Welt der Mythen war zu Ende. Unter unverständlichem Gemurmel zerdrückte er den Stummel in einem Aschenbecher. Alfredo Fuente Hemingways kosteten etwa zweihundert Dollar die Kiste, doch Luther behandelte sie wie mexikanische Zigaretten.
    Er stand ächzend von seinem Sessel auf. »Lass uns hier verschwinden, J.P.«, sagte er, hob den Tonarm und entfernte den Diamanten aus dem Vinyl-Walhall. Er steckte die Platte zurück in die Hülle. »Ich muss mit dir über eine ernste Angelegenheit sprechen.«
    »Geht es um den Roman über Honus Wagner? Um den Helden mit einem Schlagdurchschnitt von .327? Der sogar in der Deadball-Ära über hundert Homeruns schlug?«
    »Richard Wagner, gottverdammt! Und nein, es geht nicht um den Roman. Ich habe dich gebeten, herzukommen, weil mein Leben im Arsch ist.«
    Wir fuhren zu Sergio’s, in Luthers restauriertem 1941er Packard Clipper, einem Juwel in Eierschalengelb mit makellosen Chromteilen und breiten Weißwandreifen. Niemals würde Luther einen Wagen fahren, der nach 1970 gefertigt worden war. Er besaß noch einen 1951er Hudson Hornet, einen 1946er Studebaker Champion und das erste echte Muscle-Car, einen 1964er GTO, entwickelt von John DeLorean. Alle liefen perfekt, auch ohne Hilfe von Mikrochips. Luther kaufte die Autos von Restauratoren, die Preise nahmen, für die man einen neuen Mercedes hätte bekommen können.
    Sergio’s war eine Taqueria an der Montana Avenue, direkt hinter dem Fiesta, einem Autokino für Triple-X-Pornos. Luther mochte Sergio’s wegen seines Retro-Stils — kein Fernseher, kein nerviges Neonlicht und alle Speisen wurden in reinem Schmalz gebraten. Sergio hatte noch nie etwas von Trans-Fetten oder Cholesterin gehört. Abgesehen von ein paar abgeschlafften Transvestiten war der Laden leer.
    »Ich werde sie verlassen«, sagte Luther. »Sie lässt mir keine andere Wahl.«
    »Wer lässt dir keine andere Wahl?«
    »Herrgott noch mal, Mann! Wer wohl? Wen verlässt man, wenn man sagt,
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