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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Autoren: Frank W. Haubold
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ihr Geheimnis. Er selbst hatte keinerlei Verdacht geschöpft und wäre wahrscheinlich in Panik geflohen, bevor man seinen Körper hätte untersuchen können.
    Von dieser Seite drohte also keine Gefahr und, was noch erfreulicher war, er verfügte auch wieder über einen Körper. Auf Anraten der Stimme hatte er jedoch darauf verzichtet, das vorhandene Bewusstsein auszulöschen. Die Zellsubstanz des Gehirns war umfangreich genug, um ihn mit allem Notwendigen zu versorgen. Natürlich würde der Tag kommen, an dem er den Körper ganz übernehmen musste, aber bis dahin würde er sich nicht zu erkennen geben. Seine neue Existenz als stiller Beobachter hatte im Übrigen durchaus Vorzüge.
    Menschen waren offenbar sehr emotionale Wesen, anders war die Begeisterung seines Wirtes über die doch eher nichtssagenden Ausführungen des Kommandanten nicht zu erklären. Vielleicht hing der Gefühlsüberschwang mit der Kurzlebigkeit der Spezies zusammen, aber nicht einmal das rechtfertigte die überschießenden Hormonausschüttungen beim Absingen unsäglich banaler Verse. Dennoch hatte er in diesen Momenten beinahe so etwas wie Neid empfunden, natürlich nicht wegen des lächerlichen Singsanges, sondern wegen der Euphorie, die sein Wirt dabei empfunden hatte. War es das, was die Menschen als »Glück« bezeichneten?
    Die Stimme hatte gelacht und argumentiert, dann könne er auch gleich ein Insekt bei der Paarung beneiden, das dabei ebenfalls eine Menge Spaß hätte. Offenbar neigte der Besitzer der Stimme selbst nicht zum Überschwang …
    Im Grunde waren solche Plänkeleien jedoch nebensächlich. Alles, was zählte, war die Tatsache, dass er an Bord und in Sicherheit war. Die Zeit der Rache war noch nicht gekommen, aber sie rückte näher, jetzt, da das Schiff unterwegs war. Und er, den die Menschen Malik genannt hatten, würde seine Rache auskosten wie ein Gourmet ein Acht-Gänge-Menü.
        

Das letzte Haus der Welt

    Sie gleiten dahin wie Schatten, ohne Morgen, ohne Tag.
    Ihr Schiff ist schnell, aber sie können die Geschwindigkeit nicht spüren. Die Nacht, die sie umgibt, ist sternenlos. Es gibt nichts, an dem sich das Auge festhalten könnte. Die Instrumente des Schiffes sind keine Hilfe. Seit dem Sprung in die Dunkelheit versagen sie ihren Dienst.
    Was bleibt, sind Rituale. Sie nehmen ihre Mahlzeiten zu den vorgeschriebenen Zeiten ein und versuchen zu schlafen, wenn das Licht in den Kabinen erloschen ist. Doch sie finden keine Ruhe, und ihre Träume sind schwer. In der Dunkelheit verschwimmen die Grenzen zwischen drinnen und draußen. Sie treiben allein durch die Nacht, und es gibt Momente, in denen sie den Glauben an ein Morgen verlieren.
    Noch vermögen sie dem schleichenden Gift der Lethargie zu widerstehen, aber sie spüren, wie ihre Kräfte schwinden.
    Wie lange noch?
    Die Frage bleibt unausgesprochen. Wer sollte, wer könnte sie auch beantworten?
    Bei Tisch tauschen sie nur wenige Worte, ohne sich dabei anzusehen. Sie fürchten die Nähe wie den Blick in den Spiegel.
    Der Zwerg bildet den traurigsten Anblick. Er sieht aus wie ein altes Kind. In seiner Miene mischen sich Schuldbewusstsein und Resignation mit einer Spur Trotz. Miriam vermisst seine Scherze, selbst die auf ihre Kosten. Sie weiß, dass er keine Schuld trägt, auch wenn sie ohne ihn vermutlich nicht hier wären. Mr. Fisher, der Zwerg, hat nur seine Pflicht getan. Es ist ihre Entscheidung gewesen, die flüchtende Stadt zu verfolgen.
    Sie dürfen nicht entkommen.
    Miriam bleibt dabei, auch wenn die letzten Tage und Wochen nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind. Die erzwungene Untätigkeit zerrt an den Nerven, und sie vermisst die Sterne. Jetzt, da sie verschwunden sind, sehnt sie sich nach ihnen wie nach verlorenen Freunden. Sie versucht, nicht an Ray zu denken. Aber die Nächte sind lang.
    Sie beneidet Henry, den Bordingenieur, der sich entschuldigt, um nach den Maschinen zu sehen. Für ihn hat sich wenig geändert. Er muss sich um den Reaktor, die Generatoren und Dutzende anderer Aggregate kümmern, von denen ihr Überleben abhängt. Die Triebwerke sind dagegen abgeschaltet. Sie vermögen den Flug – oder Fall – der Nemesis ohnehin nicht zu beeinflussen.
    Ricardo, der Waffenoffizier, ist dagegen genauso unterbeschäftigt wie der Zwerg und Miriam selbst. Doch er trägt die Situation zumindest äußerlich mit Fassung. Wie Miriam besucht er regelmäßig den Fitnessraum, kontrolliert einmal am Tag die energetischen Waffen und trinkt beeindruckende
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