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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey
Autoren: Heartland
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musste, wenn ihm nicht danach war. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil hier zu sitzen so viel leichter war als sein letzter Job als Lagerarbeiter bei Wal-Mart. Zum Ausgleich saß er nun eisern zwischen neun und siebzehn Uhr an seinem Stand, mittwochs bis sonntags; in seinen neun Monaten als Händler hatte er nicht einen Tag blaugemacht.
    Für die anderen Flohmarkthändler, die sich in diesen neun Monaten die Zeit genommen hatten, Blue Gene näher kennenzulernen, war er ein griesgrämiger Typ, der mühelos andere griesgrämige Typen zum Lachen bringen konnte, und er war die Sorte Mann, »der sagt, was Sache ist«, der einen »Kumpel« nannte, ohne dass es herablassend wirkte, weil es sich anhörte, als sei es ihm ernst. Für die Händler, die ihn nur vom Sehen kannten, war Blue Gene ein langhaariger Typ mit Schnauzbart, der nie lächelte und leicht hinkte, was bestimmt der Grund dafür war, dass er stundenlang an seinem Tisch sitzen blieb.
    Für viele Händler war das laute Schnauben aus den Nasennebenhöhlen, das aus Blue Genes Verkaufsstand drang, das Einzige, was sie von dem derben Burschen mitbekamen, und wenn sie daraufhin die Köpfe in seine Richtung drehten, blickten ihnen aus dem Halbschatten einer Basecap ein Paar dunkle, tief in ihren Höhlen liegende ungesunde Augen mit grau-lila Ringen entgegen. Wegen seiner missmutigen Art und seiner unglaublichen Arbeitsmoral – anscheinend war er morgens immer als Erster da und ging abends als Letzter – behandelten ihn die Kollegen der Nachbarstände wie ein Kuriosum. Sie tratschten über seine [22] Vergangenheit, angefangen bei den seltsamen Methoden, mit denen er sich seine Zeit auf Erden vertrieb (es hieß, er habe sich ein halbes Jahr lang immer nur Auf dem Highway ist die Hölle los im Fernsehen angesehen), bis hin zu unglaublichen Gerüchten über seine Jugend.
    Während viele Menschen auf dem Flohmarkt ganz teigige Gesichter hatten, wirkte das von Elizabeth makellos, wie aus Elfenbein geschnitzt. Als junge Frau war sie beeindruckend schön gewesen, und viel von dieser Schönheit war auch geblieben, sah man von den Falten am Hals und den ausgeprägten Adern an den Händen ab. Ihr Gesicht mit den markanten Wangenknochen und den makellosen Zähnen erweckte bei Menschen, die sie noch nicht kannten, den Eindruck von Hochnäsigkeit; und ihr steifes Auftreten nahm solche kritischen Fremde ebenfalls nicht für sich ein.
    Elizabeth war dezent geschminkt und trug die dunkelbraunen Haare zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden. Sie färbte sich die Haare oft und kämmte sie hingebungsvoll, da man ihrer Ansicht nach von den Haaren eines Menschen auf seinen Charakter und seine Gedanken schließen konnte. Diese Auffassung hatte Elizabeth von einem modernen »Propheten«, Edgar Cayce, übernommen, der die Ansicht vertrat, in unseren Träumen symbolisierten Haare Gedanken, weil sie wie Gedanken dem Kopf entsprangen. Elizabeth war auf Cayce gestoßen, als sie über Träume und Prophezeiungen recherchiert hatte – Themen, zu denen sie mehr als zweihundert Bücher gelesen hatte.
    Im zweiten Gang wurde sie von einer kleinen Gruppe Kunden aufgehalten, angeführt von einer steinalten Frau, an [23] deren Gehhilfe unten Tennisbälle angebracht waren. Da Elizabeth es leid war, ewig weiter auf das widerliche T -Shirt des Mannes vor ihr starren zu müssen – mit dem Aufdruck GENIESSEN SIE DIE AUSSICHT über der Abbildung eines Bulldoggen-Hinterteils plus fettes Sternchen unter dem Schwanz –, drehte sie sich zu einem der Verkaufsstände um und gestattete sich einen kurzen Augenkontakt mit einer Händlerin. Sie war erleichtert, als die alte Frau nichts sagte. Sie inspizierte die feilgebotene Ware, und zehn Minuten später hatte sie ihre Wahl getroffen, ganz spontan und aus eigenem Antrieb.
    »Die sind wirklich hübsch«, sagte Elizabeth, als sie der kleinen alten Frau mit der dicken Rougeschicht im Gesicht und den bis zum Busen hochgezogenen Shorts das Geld reichte. »Gibt es die auch bei anderen Ständen?«
    »Ja, aber meine sind die billigsten.« Wie viele Händler war diese Frau auf einen Artikel spezialisiert, in ihrem Fall beleuchtete religiöse Bilder. Elizabeth entschied sich für die am wenigsten kitschige Version des Abendmahls, an dem jeder Zentimeter leuchtete und strahlte. Ein bisschen geschmacklos fand sie es schon, doch gleichzeitig als Tombolapreis bei einem der Bingoabende in ihrer Kirche hervorragend geeignet.
    Elizabeth war gar nicht auf die Idee gekommen, dass
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