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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey
Autoren: Heartland
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Antidepressivum, das er bisher probiert hatte, auf der Liste seiner Nebenwirkungen »Depressionen« führte.
    Nach längeren Versuchen mit Prozac, Celexa und Paxil war Blue Gene schließlich bei Zoloft gelandet, das er mittlerweile seit zwei Jahren regelmäßig nahm. Was außer seinem Arzt und den Mädels in Ralphs Apotheke niemand wusste. Er hütete dieses Geheimnis sorgfältig, da er um nichts in der Welt wollte, dass ein anderer Mann ihm ein bestimmtes obszönes Wort an den Kopf warf, ein Wort, mit dem man ihn beherrschte, da er es zugleich scheute und herbeisehnte. Eine ähnliche Beziehung hatte er zu dem Wort Weichei.
    Blue Gene hielt sich für schwach, weil er Medikamente nahm, doch wenn er versuchte, sie abzusetzen, wurde er so launisch, dass er die Flohmarktkunden völlig grundlos anraunzte. Er wusste nicht, ob die Tabletten wirklich halfen. Er fühlte sich immer noch müde, immer noch bedrückt, andererseits fragte er sich, in welchem Zustand er sonst wäre.
    [19] Jackie Stepchild sollte Blue Gene gegenüber später die Theorie vertreten, er und alle anderen in seiner Situation fühlten sich indisponiert, weil sie an Brucellose erkrankt seien, die durch ein im Labor hergestelltes Virus übertragen werde, das seinen menschlichen Wirt völlig gleichgültig werden lasse und ihm jede Lebensfreude austreibe. Sie ging sogar so weit, zu behaupten, das Virus werde von in Labors gezüchteten Stechmücken verbreitet, die die Regierung im Dunkel der frühen Morgenstunden überall im Land zigmillionenfach aussetze, eine Armee blutsaugender Soldaten. Blue Gene verwarf Jackies Theorie und fasste seine Müdigkeit mit den Worten eines ehemaligen Kollegen bei Wal-Mart zusammen: »Der Draufgänger in mir ist draufgegangen.« Der Kollege war damals Mitte siebzig gewesen.
    Doch Blue Gene glaubte, dass das Leben genau das bewirkte, vor allem wenn man seine besten Jahre mit Arbeiten verbrachte: Es machte einen jungen Mann alt.
    Sein Arbeitstag hatte wie immer begonnen: Blue Gene trank aus einem Styroporbecher Kaffee und sah zu, wie die anderen Händler eintrudelten und die alten Bettlaken von ihren Waren nahmen. Um zwei Minuten vor neun machte der Besitzer des Commonwealth-County-Flohmarkts seine morgendliche Lautsprecherdurchsage, erhob seine Stimme über die Apollo-13-Gläser und Spielzeugfiguren aus Cornflakes-Packungen, den Modeschmuck und die NSYNC -Figuren, die Vom-Winde-verweht -Teller und Plüschtiere, die Wackeldackel und Legosteine. Sein sanfter Bariton klang wie der von Johnny Cash, nur optimistischer.
    »Guten Morgen, liebe Flohmarkthändler. Wie immer gilt: Wer etwas Illegales hat, packt es unter den Tisch. Wir [20] werden uns bemühen, im Laufe des nächsten Monats die Klimaanlage für Sie in Gang zu bringen, was heißt, dass wir auch im nächsten Monat hier sein werden. Ganz egal, was Curran Boggs sagt. Wir werden auch im nächsten Monat noch hier sein und im übernächsten und überübernächsten und bis in alle Ewigkeit, Amen. Ich weiß, die Geschäfte laufen schleppend, aber diesen Sommer wird es besser werden. Und nun wünsche ich uns allen einen erfolgreichen Tag. Ach ja – fast hätte ich es vergessen. Wussten Sie, dass es Zeit wird, die Bettwäsche zu wechseln, wenn man anfängt, in seinem Bett Staub zu saugen? Na, dann wollen wir mal loslegen. Macht die Tore auf, und lasst sie rein.«
    Jeden Morgen hörte sich Blue Gene die Ansage des Besitzers aufmerksam an – hauptsächlich weil er die Witze mochte. Es waren immer knackige, bodenständige Witze wie: »Unterhalten sich zwei Farmer: ›Hast du gehört, was man in der Stadt über uns erzählt?‹ – ›Nein, was denn?‹ – ›Man sagt, wir treiben es mit Schafen… und Ziegen… und Hühnern… und Schlangen…‹ Darauf der andere: ›Mit Schlangen?‹« Mehr als den Humor an sich wusste Blue Gene zu schätzen, dass der Besitzer sich die Mühe machte, jeden Tag einen neuen Witz zu erzählen.
    Wie immer verbrachte Blue Gene die Stunden nach der morgendlichen Durchsage damit, vorbeischlendernde Kunden zu beobachten, denen er allerdings höchstens kurz zunickte. Er sprach grundsätzlich keine Kunden an, wenn sie ihn nicht von sich aus ansprachen, denn er wollte auf keinen Fall für einen professionellen Händler gehalten werden. Das war einer seiner strikten Grundsätze, die er sich für den Flohmarkt verordnet hatte. Beispielsweise hatte er sich [21] regelmäßige Anwesenheitszeiten auferlegt, obwohl er keine Stechuhr hatte und überhaupt nicht kommen
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