Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
Vom Netzwerk:
Rechtsradikale.
    Sein eigener Vater war in der SA gewesen, das hatte er aufgeschnappt, als er noch klein gewesen war, wenn ‹alte Kameraden› bei ihnen zu Hause eingekehrt waren und in Erinnerungen geschwelgt hatten. Die Männer hatten wenig miteinander gemein gehabt, aber der Krieg hatte sie zu Blutsbrüdern gemacht. Die Information hatte in ihm geschlummert, bis in der Schule das ‹Dritte Reich› durchgenommen wurde, und auf einmal hatten sich die beiden Hälften seines Vaters, die ihn immer so verstört hatten, der besoffene Stolz beim Schwelgen mit den Kameraden auf der einen Seite und das tägliche Kleinlaute, beinahe Unterwürfige auf der anderen, zu einem Ganzen gefügt. Und als er einen Bruchteil davon verstanden hatte, hatte er, glühend vor Empörung, angefangen, Fragen zu stellen, zu bohren, immer und immer wieder, mitleidlos. Aber sein Vater hatte beharrlich geschwiegen und war ihm fortan aus dem Weg gegangen, und er hatte alle Achtung vor diesem Mann verloren.
    Heute bedauerte er es oft, dass er sich, seit er fünfzehn gewesen war, nicht mehr um diesen Menschen bemüht hatte, ihm, wenn überhaupt, mit selbstgerechtem Stolz begegnet war.
    Sein Vater war vor fünfzehn Jahren gestorben. Er würde nie mehr etwas erfahren über dessen Kindheit, über seine Gefühle, Träume und Ängste. Er wusste nichts darüber, wie er hatte weiterleben können nach seinen Kriegserfahrungen, ob Lachen und Lieben ihm danach schwer geworden waren. Er wusste nur, dass er in der SA gewesen war.

Vier
    Aus der Küche kam Stimmengemurmel.
    Hansjörg Möller brauchte gar nicht nachzuschauen, wer der Besucher war, er konnte ihn riechen: Walterfang. Blieb ihm denn nichts erspart? Er hängte die Hundeleine auf und tätschelte Cora die Flanke. Dann ging er ins Bad, wusch sich die Hände und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
    «Jörg, bist du das?», rief Maria.
    «Wer soll es wohl sonst sein?», murmelte er ins Handtuch. «Komme gleich», rief er zurück.
    Heinrich Walterfang – seit dreißig Jahren ging einem der Kerl schon auf die Nerven, klebte wie Kaugummi unter der Schuhsohle. Er war überzeugt davon, der eigentliche Manager der ‹13› zu sein. Merkwürdig eigentlich, dass Frieder dem nie beherzt einen Riegel vorgeschoben hatte. Jeder hielt sich den Typen möglichst vom Leib, nur Maria meinte, sie müsste ihn unter ihre Fittiche nehmen.
    Walterfang war ein Schmarotzer erster Güte. Das Studium hatte er schon im zweiten Semester an den Nagel gehängt – «Du, ehrlich, das gibt mir irgendwie nichts». Seitdem hatte er zahllose Jobs gehabt, die er allesamt schon nach kürzester Zeit wieder hingeschmissen hatte, weil es einfach nicht «das Richtige» war, weil man doch tatsächlich Überstunden von ihm erwartete, weil er «Rückenprobleme» hatte. Er wohnte immer noch bei seiner alten Mutter und schwatzte ihr die Rente ab.
    Möller stieß die Küchentür auf. Da saß die Zecke breitbeinig am Tisch, speckige Jeans, Schweißränder auf dem fadenscheinigen T-Shirt, das blonde Haar fiel ihm in fettigen Zotteln bis auf die Schultern.
    «Grüß dich, Heinrich!»
    «Hallo …», kam es mürrisch zurück.
    Maria war dabei, den Tisch zu decken. «Es gibt Chili. Gut, dass ich so viel gekocht habe. Als hätt ich’s gerochen.»
    Möller grinste in sich hinein, öffnete das Fenster und setzte sich Walterfang gegenüber an den Tisch. «Und? Was verschafft uns die Ehre?»
    Walterfang runzelte finster die Brauen. «Ich dachte, ich schnei mal bei dem ein oder anderen rein. Vielleicht gibt’s ja noch was zu besprechen, bevor die Proben losgehen.»
    «Also bist du quasi auf Rundreise. Hast du neuerdings ein Auto?»
    «Ich? Wovon denn? Nee, ich bin getrampt.»
    «Das macht man heute noch?» Möller griente.
    «Es wird immer schwieriger», nörgelte Walterfang, «aber ich habe ja keine Wahl.»
    Möller schnaubte verächtlich, und Maria knallte drei Flaschen Bier vor ihm auf den Tisch. «Mach mal auf und gieß ein!»
    Dann stellte sie die Pfanne mit dem Fleischgericht in die Mitte. Walterfang griff sofort zur Kelle und schaufelte sich mehr als die Hälfte davon auf seinen Teller. «Sieht lecker aus.» Mit der anderen Hand plünderte er den Brotkorb.
    «Na, Hauptsache, du wirst …», setzte Möller an, aber Maria brachte ihn mit einem kräftigen Tritt gegen das Schienbein zum Schweigen.
    Walterfang verputzte schweigend seine Portion, dann überzog eine Art Lächeln sein Gesicht, und er verlegte sich aufs Plaudern. «Hört mal, die Luise will
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher