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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Muffiges, Verkniffenes gehabt, und Maria spielte gern das toughe Weib. Ständig waren sie aneinander geraten, und es war ihm bis heute schleierhaft, wieso sie plötzlich unter den Augen der versammelten ‹13› in leidenschaftlicher Liebe entbrannt waren. Wann war das gewesen, 87, 88? Maria war als ledige Mutter an die Uni gekommen. Sie hatte vor dem Abi ein Kind gekriegt, die Frucht einer Affäre mit einem Gastarbeiter, der, als er von dem Malheur erfahren hatte, schleunigst nach Griechenland abgedampft war. Für Maria war das Kind kein großes Problem gewesen, sie hatte ihr Studium absolviert – Sozialpädagogik – und den Kleinen von ihrer Mutter großziehen lassen.
    Der «Kleine» musste inzwischen über dreißig sein, keine Ahnung, was aus dem geworden war.
    Er wählte eine Reihe von Fotos aus und legte sie nebeneinander: Frieder und die Mädels. Keine, die sich nicht in Szene gesetzt hätte, wenn er in der Nähe war, so viele Augenaufschläge, so viele flinke Zungenspitzen, die über geschürzte Lippen glitten.
    Der Sketch über die Peter-Lorenz-Entführung, Sibylle und Frieder auf der Bühne, in der Kulisse er selbst zusammen mit Dagmar, die nach Luft schnappte.
    «Ich fasse es nicht, die hat sich tatsächlich von ihm flachlegen lassen!»
    Er war vollkommen verblüfft gewesen. «Du spinnst ja!»
    «Gott, bist du blöd! Das sieht doch ein Blinder, guck sie dir doch an.»
    Knallrot im Gesicht hatte Dagmar weiter Gift gespuckt. Erst drei Jahre später war ihm klar geworden, warum.
    Er schob die Fotos zusammen. Schon damals hatte er nicht verstanden, was die Mädels so angezogen hatte. Frieder war kühl, schnell gelangweilt, leicht genervt und schenkte anderen wenig Beachtung. ‹Geheimnisvoll›, hatte Dagmar ihn genannt. Mit den Jahren hatte er gelernt, dass viele Frauen solche Kerle begehrenswert fanden, dabei war deren ‹Geheimnis› leicht zu lüften. Entweder waren sie schlicht hohl und hatten nichts zu sagen, oder sie waren vollkommen selbstbezogen und nicht daran interessiert, vielleicht auch unfähig, eine gleichberechtigte Beziehung aufzubauen.
    Die Frauen in seinem Alter waren die erste Generation Mädchen gewesen, die man gefragt hatte: ‹Was willst du denn mal werden, wenn du groß bist?› Von ihnen hatte man nicht mehr erwartet, dass sie begierig darauf waren, in die angestammte Hausfrau-und-Mutter-Rolle zu schlüpfen. Dagmar, Johanna, Maria, Bettina …, das waren selbstbewusste Frauen mit tollen Berufen, die jedem an die Kehle springen würden, der auch nur entfernt nach Macho roch. Doch auf die Frieders dieser Welt fuhren sie immer noch ab.
    Aber nicht nur die Mädels hatten Frieder zu Füßen gelegen. Haferkamp betrachtete ein Gruppenfoto – Autogrammstunde nach einer Vorstellung in Essen – Heinrich Walterfang, der buckelnd Frieder Stift und Karten reichte. Heinrich war ein mürrischer Säuerling gewesen, ein personifizierter Vorwurf an die Welt, aber wenn er die Beachtung seines Gurus gefunden hatte, war für ihn die Sonne aufgegangen. Daran hatte sich in all den Jahren nicht viel geändert. Zwar hatte er damals sein Studium schon nach zwei Semestern geschmissen, aber als ‹Mädchen für alles› war er der Truppe treu geblieben und, vermutlich auf Frieders Einladung hin, immer pünktlich auf Gnadenthal erschienen, wo er damit protzte, wie viele Platten von der ‹13› er übers Jahr verkauft und welche ‹Connections› er für sie aufgetan hatte.
    Haferkamp gähnte und reckte sich, fünf Stunden Schlaf waren einfach nicht mehr genug.
    Wenn er es recht bedachte, war kaum einer von ihnen in dem Beruf gelandet, auf den er hin studiert hatte. Als er sein Examen gemacht hatte, war die Lehrerschwemme auf ihrem höchsten Stand gewesen, und bis heute war er dankbar dafür. Er wäre ein grauslicher Lehrer geworden. Ob die anderen genauso froh waren, dass ihr Lebensplan nicht glatt aufgegangen war, wusste er nicht. Es gab eine Menge Dinge, über die sie nicht redeten, wenn sie zusammen waren.
    In den ersten Jahren hatten sie öfter die Sommerurlaube gemeinsam verbracht, die ganze Bande mit den jeweiligen Partnern, und er hatte geglaubt, sie alle durch und durch zu kennen. Später war ihm aufgegangen, wie viel sie voreinander versteckt hatten. Er wusste kaum etwas über die Familien, aus denen sie kamen. Über ihre Väter hatten sie nie gesprochen. Dabei wäre das doch nahe liegend gewesen bei all ihren politischen Auseinandersetzungen und ihren immer wiederkehrenden Nummern gegen
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