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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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heiße Nummer bist du wahrhaftig nicht!»
    Lachend warf sie den Kopf in den Nacken. «Aber du, ja?»
    Mit steifen Beinen stand er auf, weiß wie die Wand.
    Sie gluckste noch. «Jetzt komm wieder runter, Jörg», sagte sie dann. «Ich hab’s nicht so gemeint.»
    Aber er schob sie aus dem Weg und riss seine Jacke vom Garderobenhaken. «Ich geh mit dem Hund.»
    «Gute Idee», antwortete sie mit nörgeligem Säuseln. «Und ich koch uns in der Zeit was. Worauf hast du Lust?»
    «Mir egal.» Er nahm die Hundeleine und stieß einen scharfen Pfiff aus. Cora kam aus der Küche getrottet.
    «Ach Mensch, Jörg.» Maria tätschelte ihm die Wange. «Jetzt sei wieder lieb, ja? Du weißt doch, dass ich manchmal eine blöde Ziege bin, das geht einfach mit mir durch.»
    Er leinte die Hündin an. «Bis nachher.»
    Auf der Straße wandte er sich nach links Richtung Wald. Dort würde er um diese Zeit seine Ruhe haben, die Sonntagsspaziergänger saßen noch beim Mittagessen.
    Er schritt schnell aus und achtete nicht auf das Hecheln der alten Hündin. Trotz des frischen Windes sammelte sich Schweiß auf seinem Rücken.
    Was sollte der ganze Zirkus? Maria hatte es verdammt gut bei ihm, oder etwa nicht? Hatte sich um nichts kümmern, nie arbeiten müssen. Als sie geheiratet hatten, war seine Firma schon etabliert gewesen und hatte guten Gewinn gemacht. Die Durststrecke der Anfangsjahre hatte er ganz allein durchgestanden. Sie hatte sich ins gemachte Nest setzen können, zusammen mit ihrem Sohn, der damals sechzehn gewesen war. Ein großmäuliger Flegel, der nichts als Scherereien gemacht hatte. Und wer hatte die letztendlich ausgebügelt?
    Maria bestimmt nicht! Sie hatte diesen Verlierer von vorn bis hinten bedient und verhätschelt. Und dankte der Knabe es ihr? ‹Lebenskünstler›, schimpfte er sich, gondelte durch die Weltgeschichte, Surfchampion, Tauchlehrer, Fitnesstrainer in L. A., mittlerweile schickte er seiner Mutter nicht einmal mehr eine Weihnachtskarte.
    Und dann ihr Spleen mit dem eigenen Laden, Pendel, Steine, Aromatherapie, Mandalas, die ganze Palette. Plötzlich wollte sie Fachfrau für Esoterik sein, lächerlich, Maria war die Nüchternheit in Person. Aber hatte er etwa nicht nachgegeben und die Idee finanziert?
    War es denn nie genug?
     
    Martin Haferkamp räumte den Schinkenspeck und die Eier wieder in den Kühlschrank. Aus dem entspannten Frühstück war nichts geworden. Kai war nervös und wortkarg gewesen und hatte so schnell wie möglich heimfahren wollen. Da war auch ihm und Dagmar die Lust auf ein ausgiebiges Mahl vergangen, und sie hatten sich mit Tee und Toast begnügt.
    Vermutlich ging es Bettina wieder schlechter, aber wenn Kai in dieser Stimmung war, hatte es keinen Sinn nachzufragen. Man musste ihm Zeit lassen, das war schon immer so gewesen.
    Er goss sich noch einen Becher Tee ein, nahm ihn mit zum Schreibtisch und fächerte den nächsten Stapel Fotos auf: 1976, da hatten sie schon selbstbewusster auf der Bühne gestanden. Zweihundert Jahre USA, er selbst als Uncle Sam – er musste schmunzeln –, endlich hatte sein Bart einmal zur Rolle gepasst.
    Einige von ihnen hätten sicherlich das Zeug dazu gehabt, aus dem Hobby einen Beruf zu machen. Dagmar und Kai als Autoren und auf der Bühne, Hartmut als Komponist und Frieder sowieso, der war die geborene Rampensau.
    Warum hatte keiner von ihnen den Sprung gewagt?
    Sie hatten sich doch lauthals gegen die Ideologie ihrer Eltern aufgelehnt, gegen die traditionelle Rollenverteilung gewettert, die überkommenen moralischen Werte verteufelt. Hatten sich immer wieder gegenseitig versichert, dass alles möglich war, dass sie, wenn schon nicht die Welt, so doch dieses Land neu gestalten würden. Aber als sie die Uni verlassen hatten und in alle vier Winde verstreut worden waren, hatte jeder von ihnen die Sicherheit gewählt, finanzielle Sicherheit, einen soliden Beruf. Bei den Treffen auf Schloss Gnadenthal hatte man einander berichtet und genickt, hinterfragt oder kommentiert hatte keiner. Auch nicht, als sie nach und nach, mehr oder minder erfolgreich, klassische Familien gründeten und die Mädels, zumindest in den ersten Jahren, selbstverständlich die Kinderaufzucht übernahmen.
    Der Tee war kalt geworden und schmeckte bitter. Er schob den Becher weg und griff zum nächsten Foto: die Proben zum Sketch über Berufsverbote, Hansjörg und Maria, wie sie sich anbrüllten. Meine Güte, hatten die beiden sich gefetzt! Hansjörg hatte schon als junger Mann etwas
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