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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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fing an, den Tisch abzuräumen. «Mir ist immer noch ein bisschen flau von der Fahrt. Setz dich nie zu diesem Flintenweib ins Auto, Martin, glaub mir, das ist lebensgefährlich.»
    «Ha!» Dagmar lachte. «Immerhin fahre ich seit dreißig Jahren unfallfrei.»
    «Und wie viele deiner Beifahrer sind in der Zeit am Herzinfarkt gestorben?»
    «Gemeiner Kerl! Ist das der Dank dafür, dass ich extra den Umweg über Duisburg gemacht habe, um dich einzusammeln?»
    Kai grinste nur. «Ich brauch jedenfalls einen Schnaps.»
    «Im Kühlschrank steht Tequila.» Haferkamp öffnete die Spülmaschine und räumte das Geschirr ein.
    «Willst du mich umbringen? Mittlerweile müsstest du wissen, dass ich keine klaren Schnäpse trinke.»
    «Cognac und Gläser stehen da oben.»
    Kai goss sich reichlich ein. «Wollte Frieder nicht an diesem Wochenende wieder da sein?»
    «Hat Rüdiger jedenfalls gesagt», antwortete Dagmar.
    «Aber warum und wohin er so plötzlich verschwunden ist, weiß Rüdiger auch nicht, oder?»
    Dagmar zuckte die Achseln. «Ich glaube nicht.»
    «Was soll das heißen?» Haferkamp reichte ihr einen Espresso. «Hat dein Göttergatte etwa Geheimnisse vor dir?»
    «Kann schon sein. Er ist nicht besonders gut drauf in letzter Zeit.» Sie wischte Martins prüfenden Blick mit einer flüchtigen Handbewegung beiseite. «Du weißt schon, die ganzen Einsparungen im Sozialbereich. Jetzt ist er der Boss, der die Leute entlassen muss. Das geht ihm ganz schön an die Nieren.»
    «Ja, ja, wie heißt es so schön? It’s lonely at the top.» Kai stellte ein Holzkistchen auf den Tisch. «Zigarillo gefällig?»
    Dagmar schüttelte den Kopf und betrachtete ihn verstohlen. Er war immer ein auffälliger Mann gewesen, überschlank, mit einer drahtigen schwarzen Mähne, einer großen Hakennase und buschigen Brauen über kritisch blickenden Augen, die, wenn er auf der Bühne stand, vor Humor und Lebenslust nur so blitzten. Mit den Jahren war er immer grauer geworden, das waren sie ja alle, aber ihr fiel erst jetzt auf, wie gebeugt er sich hielt und dass er an Gewicht verloren hatte. Es ging ihm nicht gut, aber er würde nicht darüber sprechen.
    Martin zündete sich ein Zigarillo an, strich sich über den Magen und lehnte sich genüsslich paffend zurück. «So lässt sich’s leben.»
    «Jetzt krieg dich wieder ein.» Sie piekste ihm den Zeigefinger in den Bauch. «Wir haben noch einiges zu tun heute Abend.»
    «Nichts lieber als das.» Haferkamp blinzelte. «Könnte allerdings hilfreich sein, wenn wir wüssten, wie viel Material Frieder beizusteuern hat.»
    «Du kannst es ja noch mal auf seinem Handy probieren.»
    «Ich bin doch nicht bekloppt!»
    Kai nickte. «Wetten, wir drei kriegen mit unseren Texten und dem Best-of-Teil das Programm ganz alleine zusammen.»
    «Schon, sicher», Dagmar zupfte an ihrem Pony, «aber das fänd ich doch schade. Ihr wisst genau, wie wichtig Frieders Sketche für die gesamte Dynamik sind. Sie bringen Farbe ins Spiel.»
    Haferkamp starrte sie an. «Spricht da die gute alte ‹Miss Harmony›, oder meinst du das ernst?»
    Ihr schoss die Röte ins Gesicht, und sie hob schnell das Haar im Nacken an. «Klimakterische Hitzewallung, sorry!» Sie wusste, dass sie gackerte wie ein sterbendes Huhn. «Ich bin jetzt in dem Alter.» Damit sprang sie auf. «Lasst uns an die Arbeit gehen. Ich hole meine Mappe.»
    Auch Kai stand auf. «Ich muss noch mal für kleine Männer, dann können wir loslegen.»
    Sie verteilten die Kopien und fingen an zu lesen, schauten aber gleich wieder auf. Alle drei hatten sie als Erstes einen Sketch über den Irakkrieg geschrieben.
    »Ich hab mich auch an George W. versucht», meinte Kai, «aber das war wenig originell, also hab ich mir eine Pantomime ausgedacht.»
    «Zu Bush?», staunte Dagmar.
    «Ja, warte einen Moment, ich zeig’s euch. Sitzt natürlich noch nicht hundertprozentig, aber mal sehen, was ihr davon haltet.»
    Die Gesundheitsreform, die Mautkatastrophe, Hartz   IV.
    «Ich hätte hier noch was zur Fußball-Europameisterschaft», sagte Dagmar mit einem vorsichtigen Blick zu Haferkamp. Der verzog auch sofort gequält das Gesicht. «Ach nein, bitte nicht wieder den Nationalsport! Guckt euch lieber meinen Songtext hier an, geht um die PISA-Studie.»
    Sie diskutierten, verwarfen, fügten zusammen, tranken Kaffee und nebelten die Küche mit Zigarilloqualm ein, kritisierten, lachten, probierten aus, mailten Songtexte an Hartmut, den musikalischen Leiter. Hin und wieder war einer von ihnen
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