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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller
Autoren: Michael Lister
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mit Güterzügen zur Papierfabrik nach Pine Bay transportiert worden sind, verlaufen unter einem dichten Baldachin aus Bäumen, ein schattiger Pfad, der ideal für Langstreckenläufe ist. Gegen Hitze und Feuchtigkeit lässt sich nichts ausrichten, doch auf dem Pfad ist man immerhin vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt. Kein geringer Vorteil.
    Es ist Ende September, und auch wenn sich die Luft in letzter Zeit leicht, aber durchaus spürbar abgekühlt hat und erste Anzeichen der Veränderung bringt, ist dieser Morgen ein entschiedener Schritt zurück in den Sommer, statt zum Winter hin.
    »Fehlt es dir nicht?«, fragt Ben.
    »Was?«, fragt Daniel.
    Daniel Davis hat noch seine Sommerbräune, und das braune Haar ist von der Sonne gebleicht. Er ist für einundvierzig gut in Form und bewegt sich wie ein geborener Sportler.
    »Das Leben«, sagt Ben lächelnd.
    Ben ist ein ganzes Stück kleiner als Daniel mit seinen einsfünfundachtzig und unterschreitet dessen neunzig Kilo um etwa zehn; er hat dunklere, dichtere Haare und helle Haut, die nicht bräunt.
    »Was machst du, wenn ich mir eins besorge?«
    Die beiden Männer bewegen sich völlig synchron, ihre Laufschuhe landen gleichzeitig im Schotter des Gleisbetts zwischen den Schwellen, rollen ab, lösen sich wieder.
    »Dann lasse ich mir was einfallen«, sagt Ben, stößt seine Worte zwischen den Atemzügen hervor.
    Das Unkraut sprießt im Gleisbett, das niemand instand hält, mit Teeröl imprägnierte Schwellen splittern, Hakennägel sind locker und lösen sich langsam aus dem morschen Holz.
    Die beiden Freunde können von Glück sagen, dass sie einander gefunden haben, und das wissen sie. Es gibt nicht viele Männer wie sie um Bayshore und Pine Key, in diesen Städtchen, die sich zögernd in Urlaubsorte verwandeln und nicht recht wissen, was sie eigentlich wollen – die Rednecks und Konföderiertenflaggen des alten Südstaaten-Florida oder uniforme Häuschen und die Truman-Show-Perfektion hipper Erben.
    »Hast du mal diese Doktorandin angerufen, die im Driftwood wohnt?«, fragt Ben.
    Das Driftwood ist ein Strandhotel in Bayshore, und eine ehemalige Studentin von Daniel, die dort Ferien macht, hat eine Nachricht hinterlassen, dass sie sich gern mit ihm treffen würde.
    Daniel schüttelt den Kopf.
    »Das wäre ja so was wie ein Leben.«
    »Genau. Warum nicht? Die war so scharf – und süß und klug.«
    »Und jung«, sagt Daniel.
    »Oh
ja

    Ben ist seit vielen Jahren verheiratet und ständig bemüht, dem Single Daniel noch einmal zu wahrer Liebe zu verhelfen – oder wenigstens zu einer ausschweifenden Nacht, deren Details er sich dann anhören kann.
    »
Zu
jung.«
    »Wer den Ausgang von Wahlen mitbestimmen und größere Mengen Alkohol konsumieren kann, ist alt genug.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagt Daniel. »Wenn man sich die Clowns ansieht, denen sie ins Amt verhelfen.«
    »Da hatten sie Unterstützung.«
    »Wahrscheinlich durch größere Mengen Alkohol. Außerdem, warten wir’s ab, ob du noch an deiner Überzeugung festhältst, wenn du eine Tochter in diesem Alter hast.«
    »Was ist mit der Polizistin? Wie war noch ihr … Die hieß wie ein Kerl.«
    Daniels Kehle zieht sich zusammen, und sein Magen rebelliert. Schon bei dem Gedanken an Sam ist er nervös, aufgeregt und frustriert.
    »Sie hat mich kaltgestellt«, sagt er und denkt, dass er so etwas Wahres schon lange nicht mehr von sich gegeben hat.
    Ihretwegen hatte er viel riskiert, sich sogar aus seinem selbstauferlegten Exil hinausgewagt, aber dann hatte sie ihn verlassen, wie einen Rick Blaine, dem der Regen auf dem Bahnsteig das kranke, waidwunde Grinsen vom fassungslosen Gesicht wusch.
    Er sieht Grahams lebloses Gesicht, Hollys schmerzerfülltes. Durch Sam waren beide für kurze Zeit ein bisschen verblasst, doch seit sie sich so plötzlich und aus so unerfindlichen Gründen zurückgezogen hat, verfolgen sie ihn unerbittlicher denn je.
    »Joggen ist nun mal ein ziemlich offenkundiger und unzureichender Ersatz für Sex«, sagt Ben.
    »Und
du
joggst, weil …«
    »Du mir leid tust.«
    Daniel lächelt, doch sein Lächeln erstirbt in dem Moment, als Ben nicht mehr hinsieht. Er weiß, dass dieses Geplänkel über tatsächliche Probleme und echte Besorgnis hinwegtäuscht.
    Wenn er an Graham und Holly denkt, verspürt er eine Verzweiflung, die in den dunklen Ecken seiner Seele bohrt und nagt. Und wenn er sich an Sam erinnert, ist er frustriert und empfindet unerfülltes Verlangen.
    »Wie weit laufen
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