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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller
Autoren: Michael Lister
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was gut an ihrem Spiegelbild ist.
    Warum liebt Stan mich nicht? Warum sieht er nicht, wie umwerfend ich bin? Womit habe ich ihn nur vertrieben? Was kann ich tun, damit er zurückkommt? Vielleicht, wenn ich die Schnitte nicht hätte, wenn ich nicht verstümmelt wäre, wenn –
    Hör auf damit. Es liegt nicht an dir. Es liegt an ihm.
    Das möchte sie glauben, das erklären ihr seine und ihre Freunde ständig, aber sie kann einfach nicht.
    Als ihr Handy klingelt, geht sie rasch zum Nachttisch, schnappt es sich, wobei sie an den Kolben ihrer Waffe stößt, und sieht auf das Display. Der Anruf kommt aus ihrer Dienststelle, und sie denkt allen Ernstes daran, die verschwitzte Laufkleidung wieder anzuziehen, bevor sie rangeht. Doch dann lacht sie kopfschüttelnd über sich selbst und klingt durch das schwindende Lächeln noch täuschend fröhlich, als sie sich meldet.
    »Sam?«
    Errötender blasser Körper. Hämmern des verwundeten Herzens im Harnisch der Brust.
    »Ja?«
    Sie fragt sich, ob Stan die atemlose Verletzlichkeit in diesem einzigen Wörtchen hört. Vielleicht helfen ihr die vierhundert Meilen und der Handyempfang dabei, das vor ihm zu verbergen.
    »Tut mir leid, dass ich anrufen muss«, sagt er.
    »Schon okay.«
    Sie stellt sich vor, wie er in seinem weitläufigen Büro an seinem gigantischen Schreibtisch sitzt. Stan Winston in all seiner Abteilungsleiterherrlichkeit. Kopf hoch. Schultern zurück. Brust raus. Tiefgebräunte Haut, die aus dem übertrieben teuren Anzug blitzt. Vor kurzem geschnittenes, dichtes weißgraues Haar. Strahlend blaue Augen.
    Er ist zwanzig Jahre älter als sie und ihr Chef – und dass sie sich mit ihm eingelassen hat, kommt ihr inzwischen nur noch selbstzerstörerisch vor, doch damals hat sie das völlig anders gesehen.
    »Ich weiß, dass du, äh …«, setzt er an.
    Du weißt gar nichts. Tu bloß nicht so.
    »… gerade Zeit mit deiner Mutter verbringst, fährt er fort, aber wir haben hier eine Situation, in der wir deine Unterstützung brauchen.«
    Er
braucht mich nicht, sondern
wir
.
    »Was ist los«, fragt sie und überlegt, ob das nun desinteressiert oder defensiv klingt.
    »Übel verbrannte Leiche. Drüben bei Bayshore. Im Wild­re­ser­vat.«
    Sie weiß, dass er wieder raucht. Hat wahrscheinlich nie aufgehört.
    »Kleines County, kleines Department. Wahljahr. Der Sheriff hat Unterstützung angefordert.«
    Solange es nicht um Korruption in einem Department geht, mischt sich das FDLE eigentlich nie von sich aus in Fälle ein, die in die Zuständigkeit der Dienststelle eines Sheriffs oder der Polizei gehören.
    »Und?«
    Sie hat nicht vor, es ihm leicht zu machen.
    »Würdest du mal hinfahren und dir das ansehen?«
    Er muss nicht fragen, und beide wissen das.
    »Warum schickst du nicht jemand von der Dienststelle in Tallahassee?«
    Das wäre sinnvoller. Will er, dass ich möglichst lang wegbleibe?
    Als sie Tallahassee erwähnt, muss sie wieder an Daniel denken. Sie hat sich vorgenommen, zum Campus der Florida State University zu fahren, angeblich, um ehemalige Professoren und Freunde zu besuchen, aber eigentlich, weil sie ihm zufällig begegnen will.
    Bin ich deswegen nach Hause gefahren? Weil ich dann in der Nähe von Tallahassee, in der Nähe von Daniel bin? Kann schon sein. Vielleicht komme ich über Stan viel schneller hinweg, als ich dachte.
    »Du weißt, wie selten jemand mit Feuer tötet«, sagt er. »Kein Mensch hatte dort je so einen Fall. Der Sheriff hat im Department nach einem Experten gefragt.«
    Expertin ist sie nicht unbedingt, aber innerhalb des FDLE wahrscheinlich am nächsten dran.
    »Außerdem bist du dort aufgewachsen«, fügt er hinzu. »Im Gegensatz zu den meisten Agenten in Tallahassee.«
    Sie zögert und überlegt, wie sie ablehnen kann, ohne dass es Theater gibt. Sie ist der Sache nicht gewachsen, aber das soll er möglichst nicht merken.
    »Klingt richtig übel«, sagt er. »Die könnten dich wirklich gebrauchen, aber wenn du dich der Sache nicht gewachsen fühlst –«
    »Ich bin der Sache gewachsen«, sagt sie, und es klingt trotzig, defensiv.
    »Gut«, sagt er. »Wenn du dich beeilst, kannst du bei der Tatortsicherung helfen. Die Leiche wurde erst vor ein paar Stunden entdeckt.«
    »Bin schon unterwegs.«
    »Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
    Sie kann hören, dass seine Stimme nun anders klingt, weicher. Gleich wird er sie fragen, wie es ihr geht, oder etwas Persönliches sagen, und das erträgt sie einfach nicht.
    »Danke, dass du an mich
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