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Glutopfer. Thriller

Glutopfer. Thriller

Titel: Glutopfer. Thriller
Autoren: Michael Lister
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wir heute?«, fragt Ben.
    »Bis zum alten Depot.«
    Der Schotter knirscht unter ihren Laufschuhen, ab und zu springt ein Stein aus der Bettung und landet auf Erde. Es ist schon am frühen Morgen so heiß und feucht, dass sie aussehen, als wären sie durch Nieselregen gelaufen.
    »Wie weit ist das noch?«
    »Ein paar Meilen.«
    »Diese Scheiße bringt uns noch um, ist irgendwie nicht der Sinn der Sache.«
    »Du redest doch dauernd vom alten Depot.«
    »Ich rede eine Menge Scheiße.«
    Die beiden Männer unterbrechen ihre Unterhaltung. Außer den unsichtbaren Wesen des Waldes hört man nur ihren schweren Atem und Schuhe, die auf Schotter treffen. Nach einer Weile bleibt Ben stehen, tritt aus dem Gleisbett, stemmt eine Hand in die Seite und beugt sich vor.
    »Lauf du weiter«, sagt er. »Kann nicht mehr weit sein. Ich warte hier. Tut mir leid, aber ich kann nicht mehr.«
    Daniel bleibt stehen, joggt aber trotzdem auf der Stelle. Ganz nah. Schon fast dort. Muss es schaffen.
    »Schon in Ordnung«, sagt er. »Wir können auch zurücklaufen.«
    Eigentlich will er weiter, doch bislang war ihm nicht klar, wie sehr er das will. Und es hat wenig mit der körperlichen Herausforderung zu tun, die das Erreichen des alten Depots an ihn stellt. Es geht darum, was der Wunsch, es zu erreichen, bedeutet, darum, dass sich etwas in ihm regt. Er wacht wieder auf, Dinge, die in ihm geschlummert haben, brechen allmählich als kleine grüne Triebe der Hoffnung und des Wachstums durch brachliegenden Boden. Dass er sich antreibt, dass er ein Ziel hat, dass er sich überhaupt für etwas interessiert, deutet auf genau das hin, was Ben gerade erwähnt hat – auf Leben. Er ist es leid, in Angst zu leben – gar nicht zu leben.
    »Wirklich, lauf weiter«, sagt Ben. »Alles bestens. Bis du zurückkommst, bin ich startklar.«
    »Sicher?«
    »Absolut. Zurücklaufen kann ich jetzt sowieso nicht.«

3
    Jedes Mal wenn Sams Handy klingelt, greift sie hastig ­danach, weil sie glaubt, dass er es ist. Sie kommt nicht ­dagegen an. Es geschieht intuitiv, bevor ihre Gedanken einsetzen, was dann allerdings sofort passiert – sodass sie in dem Augenblick zwischen erstem Klingeln und tatsächlichem Griff nach dem Handy begreift, dass er es nicht ist und nicht sein kann.
    Er wird nicht anrufen und sich tränenreich entschuldigen oder zugeben, dass es ein Fehler war, sie zu verlassen. Männer vom Typ emotional unzugänglicher paramilitärischer Polizist drehen den Hahn zu, damit er nicht tropft (Originalton über seine letzte Freundin), und dann machen sie einfach weiter und blicken nicht zurück. Er würde nicht mal anrufen, um zu fragen, ob mit ihr alles okay ist, geschweige denn, um irgendwas zu klären.
    Es ist vorbei.
    In vernünftigeren Momenten weiß sie das und weiß auch, dass es gut so ist, dass sie allein mit sich selbst erheblich besser dran ist als allein mit ihm, doch das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt, und ihres ist nun mal verletzt und schwer und zurzeit eben unvernünftig.
    Samantha Michaels arbeitet im Miami Regional Operations Center als Agentin des Florida Department of Law Enforcement, der Strafverfolgungsbehörde, und ist für ein paar Tage nach Nordflorida zu ihrer Mutter gefahren, nach Hause in das Städtchen Marianna, um dort zu gesunden, und damit er seine Sachen in aller Ruhe aus ihrem Haus holen kann – aus dem Haus, das sie als ihres erachtet. Eigentlich hütet sie die Villa für den Besitzer, einen Internetmilliardär, der nur einmal im Jahr dorthin kommt und dem der Gedanke gefällt, dass die restliche Zeit eine Agentin vom FDLE darin wohnt.
    Jetzt steht sie nackt in ihrem Kinderzimmer unter einem großen Deckenventilator, während der Schweiß über die muskulösen Kurven ihres straffen, zu blassen Körpers rinnt. Gerade ist sie von ihrem Morgenlauf zurückgekommen, und jetzt nimmt sie sich Zeit, ihren neuen Körper kennenzulernen, wie es die Wartezimmerbroschüre formulierte. Im Großen und Ganzen gefällt ihr, was sie sieht. Wenn man von den Narben, der blassen Haut und dem traurigen Gesicht absieht, hat sie einen schöneren Körper als die meisten Frauen, die halb so alt sind wie sie. Obwohl sie bald vierzig wird, sind ihr Muskeltonus und der knackige kleine Po noch da. Und trotz aller Kraft und Sportlichkeit gibt es an ihr nichts, das irgendwie männlich wirkt.
    Ihre Wunden verstören sie, und sie fragt sich, ob das Gefühl je zurückkehren wird, doch dann versucht sie, sich auf all das zu konzentrieren,
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