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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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lass uns gleich losziehen.«
    Ich machte
eine Geste, die zu einem Viertel aus Nicken bestand und ansonsten aus dummem Gesicht.
Vielleicht war die Verteilung auch etwas günstiger, es spielte aber keine Rolle.
Denn Marathonläuferin Katinka Glück war schon wieder im Haus verschwunden. Ich glotzte
sozusagen gegen die Leere im Türrahmen. An diese Art der Kommunikation musste ich
mich erst noch gewöhnen. In sportlichen Kategorien ausgedrückt, hatte sie eher etwas
von Sprinttraining. Kurze Antritte statt langer Dialoge. Lass uns losziehen! Klar,
ich war ja nicht zum Brunchen hier. Fünf Sekunden vorm Haus mussten reichen, fürs
Beschnuppern und für alles andere. Ziehen wir los! Könnte ja dunkel werden, in sechs
Stunden oder so.
    Schon füllte
sich der Türrahmen wieder. Katinka Glück stand in Sportklamotten vor mir. Sie war
mittelgroß und brünett, hatte eng zusammenliegende grüne Augen und ein Gesicht,
in dem sich keine Spur von den fröhlichen Dingen fand, die ihr Nachname versprach.
Das einzig Lustige an dieser Frau war ihre Bubifrisur. Sie hätte als Studentin in
den Anfangssemestern durchgehen können. Wenn sie nicht die ganze Zeit so ernst dreinblicken
würde.
    »Ziehen
wir los«, grinste ich.
    Wie hatte
sie es nur geschafft, so schnell wieder aufzutauchen? Statt in Jeans und Pullover
nun in roter Windjacke, langer schwarzer Laufhose und Sportschuhen. Dazu in der
Rechten ein Stirnband und dünne Handschuhe. Entweder hatte Katinka die Sportsachen
unter ihrer Alltagsmontur getragen, oder sie wusste um das Geheimnis einer neuen,
extrem effizienten Art des Umkleidens. Wortlos nahm sie einen Schlüssel von einer
Leiste und schloss die Haustür hinter sich. Zweimal drehte sie den Schlüssel im
Schloss, bevor sie ihn in einer winzigen Tasche neben dem Reißverschluss ihrer Jacke
verstaute.
    »Wohin geht’s?«,
fragte ich.
    »Hier lang.«
Sie zeigte zum Ende der Straße. »Wir laufen meine übliche Runde.«
    Wir?
    Einen Moment
lang fürchtete ich, sie würde mir verbieten, mich aufs Rad zu schwingen. Was sie
natürlich nicht tat, sie war ja informiert. Andererseits hatte ich so oder so den
Schwarzen Peter gezogen. Warum musste die Frau auch in Ziegelhausen wohnen? In einem
Lindwurmtal, das sich immer höher in den Odenwald schraubte? Von hier aus gab es
nur eine Richtung: bergauf. An Hängen entlang, über Kuppen und Kämme, durch tief
eingeschnittene Hohlwege oder schmal sich windende Waldpfade bis ins nächste Tal.
Oder auf den breiten, allmählich ansteigenden, dafür äußerst kurvenreichen Forststraßen.
Mehr als 400 Meter betrug der Höhenunterschied zwischen dem Neckar und den Odenwaldgipfeln.
    Hinter der
Wendeschleife stand eine Schranke, und hinter ihr begann ein Waldweg. Katinka lief
vor, ich folgte. Die Steigung war mäßig, auf dem Boden lag feiner Splitt. Nach einigen
100 Metern bog sie rechts ab. Unter uns spitzten die Dächer ihrer Straße durch die
kahlen Bäume. Im Süden waren die Funktürme auf dem Königstuhl zu sehen. Katinka
lief gleichmäßig und ohne Anstrengung, ihr Oberkörper bewegte sich kaum. Das schwarze
Stirnband bedeckte ihre Ohren. Mit ein paar kräftigen Tritten schloss ich auf.
    »Anderthalb
Stunden«, sagte ich. »So steht es in dem Plan, den ich bekommen habe.«
    Sie nickte.
    »In diesem
Tempo?«
    »Ist okay.
Auf der zweiten Hälfte beschleunige ich ein bisschen.«
    Beschleunigen?
Klar, wir waren ja gerade mal zehn Stundenkilometer schnell. Wenn auch nur geschätzt,
denn ich besaß keinen Fahrradcomputer. Christine hatte mir mal einen geschenkt,
aber der war kaputt. Vielleicht musste ich bloß die Batterie wechseln. 10 km/h,
und das bergauf. Die Blätter des vergangenen Herbsts raschelten unter meinen Reifen.
    »Ist der
Spanner noch mal aufgetaucht?«
    »Nein.«
    Pause. Bräunlich-violett
leuchteten die Stämme der entlaubten Bäume. Dunkle Schatten kündigten Nadelholz
an, dann wieder blinzelte der Winterhimmel durch die Wipfel.
    Katinka
sah beim Laufen stur geradeaus. Was ging wohl in ihrem Kopf vor, wenn sie trainierte?
Dachte sie überhaupt etwas? Lief sie sonst mit Musikbeschallung, zählte sie ihre
Schritte, achtete sie auf ihre Atmung?
    Nicht, dass
mich all dies großartig interessiert hätte. Aber irgendetwas fragte man sich halt,
während die Minuten verstrichen und nichts von Bedeutung passierte.
    »Was war
das für ein Unfall, den Dr. Eichelscheid hatte?«
    Sie schwieg.
Erst dachte ich, sie hätte die Frage nicht verstanden oder nicht genug Luft, um
sie zu
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