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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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beantworten. Aber als sie schließlich sprach, klang sie so entspannt wie
zuvor.
    »Ein Auffahrunfall,
sagt seine Sekretärin. Ich habe kurz überlegt, wer da wem hintendrauf gefahren ist.
Das erwähnte sie nämlich nicht, und ich ging ohne nachzufragen davon aus, dass Eichelscheid
in dem vorderen Wagen saß.«
    »Aber vielleicht
war er es auch, der dem anderen ins Heck gerauscht ist.«
    Zum ersten
Mal sah ich so etwas wie ein Lächeln über ihr Gesicht huschen. Na also! Ging doch.
    »Rauschen?
Nein«, erwiderte sie. »Leute wie Friedemann Eichelscheid halten sich an absolut
jede Geschwindigkeitsbegrenzung, bremsen vor jedem Zebrastreifen und fahren niemals
schneller, als der ADAC empfiehlt. Da wird nicht gerauscht.«
    »Ein Friedemann
in jeder Beziehung. Unter so einem Abteilungsleiter möchte man ja arbeiten.«
    »Meinst
du? Vielleicht fällt es einem bei Tempo 30 ja leichter, ein Dutzend Mitarbeiter
zu entlassen.«
    Ich schwieg,
weil der Weg steil anstieg. Um mit Katinka mithalten zu können, musste ich aus dem
Sattel gehen. Wir erreichten einen Höhenzug zwischen Ziegelhausen und dem weiter
östlich gelegenen Kleingemünd, dem wir nach Norden folgten. Dann ging es kreuz und
quer durch den Odenwald, bis ich die Orientierung komplett verloren hatte. Hin und
wieder verrieten mir Wegweiser ungefähr, wo wir uns befanden. Irgendwann begann
es leicht zu regnen.
    Auf einer
Bergabpassage fuhr ich vor, um mir eine Regenjacke überzuziehen. Außerdem Mütze
und Handschuhe. Katinkas Lauftempo mochte überdurchschnittlich hoch sein; mir wurde
trotzdem kalt dabei.
    »Wo sind
deine Kinder jetzt? Im Kindergarten?«
    »Kindergarten
und Krippe.«
    »Und dein
Mann? Was arbeitet er?«
    »Grundschullehrer.«
    »Also kann
er dich beim Training nicht begleiten?«
    Sie warf
mir einen kurzen Seitenblick zu. »Vielleicht möchte er auch gar nicht.«
    »Hast du
keinen Manager?«
    »Ich hatte
einen. Mit dem gab es Ärger. Jetzt habe ich keinen mehr.«
    »Und du
trainierst immer allein? Gibt es in deinem Verein niemanden, der dein Tempo läuft?«
    »Keine Lust.«
Sie merkte, dass sie sich missverständlich ausgedrückt hatte. »Ich bin es, die keine
Lust auf Begleitung hat, verstehst du? Ziehe mein Ding lieber allein durch.«
    »Oh, sorry,
und jetzt quatsche ich auch noch die ganze Zeit.«
    Sie schwieg.
Danke, das war Antwort genug. Ich weiß, dass ich manchmal einen Satz zu viel sage,
und es gab schon eine Menge Situationen, in denen ich mir hinterher wünschte, das
Maul gehalten zu haben. Aber war es gescheiter, sich 90 Minuten lang gegenseitig
anzuschweigen? Sprach sie wenigstens zu Hause mit ihren Kindern?
    Gut, schwiegen
wir halt. Eine Weile fuhr ich voraus und wartete an der nächsten Kreuzung auf sie.
Der Regen wurde stärker.
    »Es war
nicht meine Idee, dich einzuschalten«, sagte sie, als wir wieder auf gleicher Höhe
waren. »Wenn ich unterwegs bin, habe ich keine Angst. Harboth und Eichelscheid meinen,
es mit der Fürsorge ja immer gleich übertreiben zu müssen.«
    Jetzt war
ich es, der auf einen Kommentar verzichtete. Wenn ihr meine Anwesenheit lästig war,
brauchte sie es nur zu sagen. Ich würde ganz sicher nicht auf Erfüllung des Vertrags
bestehen. Es gab angenehmeren Zeitvertreib, als sich im Februar auf 400 Metern Meereshöhe
nass regnen zu lassen.
    »Nun schau
nicht so beleidigt«, hörte ich sie sagen.
    »Ich bin
nicht beleidigt.«
    »Sondern?«
    »Ich friere.
Du nicht?«
    »Nö. Das
Zeug ist wasserabweisend.« Sie sah auf ihre Uhr. »Männer frieren immer. Los, hier
lang!«
    Sie zeigte
nach rechts. Der Weg, der sich dort den Hang hochschlängelte, war verdammt steil
und verdammt schmal. Meinte sie das ernst? Ich fuhr ein Rennrad und kein Mountainbike!
    »Was ist?«,
rief sie mir über die Schulter zu, schon einige Meter voraus. Und grinste dabei,
ich hatte es genau gesehen! Ich nahm Schwung, schloss rasch auf, doch es gelang
mir nicht, an ihr dranzubleiben. Der Weg war zu steil. Während sie die Bergziege
spielte, machte ich einen auf Nilpferd. Krümmte den Rücken, schnaufte, fletschte
die Zähne. Nicht gerade der Lance-Armstrong-Stil, aber Lance Armstrong kannte den
Odenwald nicht. Der Regen peitschte mir ins Gesicht. Unter den Achseln und zwischen
den Schulterblättern sammelte sich Flüssigkeit. Ich wog keine 70 Kilo, aber jedes
einzelne war zu viel in diesem Moment.
    »Und? Immer
noch kalt?«, fragte Katinka oben. Sie hatte nicht auf mich gewartet, sondern war
einfach weitergelaufen, ohne sich umzusehen. Wenn ich
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