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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition)
Autoren: Steven Uhly
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denn ihre Tochter vor dem Bauch tragen?«
    Die Verkäuferin verkauft Hans ein Wickeltuch. Hans kauft noch eine Mütze, einen kleinen Mantel und Hüttenschuhe in Größe 16, dann hat er kein Geld mehr und eilt nach Hause. Jetzt schleppt er drei Plastiktüten. »Hoffentlich ist Felizia nicht wach geworden«, murmelt er, während er so schnell geht, wie seine alten Beine ihn tragen. Andererseits, denkt er dann, wenn man schon im Müll gelegen hat, ist es nicht mehr so schlimm, in der Wohnung eines Untoten aufzuwachen, oder?
    Mehrere Male muss er kurz stehen bleiben, um zu verschnaufen. Endlich kommt er am Haus an, endlich fährt er im Fahrstuhl in den fünften Stock, mit zitternden Fingern schließt er seine Wohnungstür auf und bleibt in der offenen Tür stehen und lauscht. Alles ist still. Und wenn sie jetzt tot ist, fährt es ihm durch den Kopf. Er stellt die Tüten in den Staub und eilt ins Schlafzimmer. Dort liegt Felizia und schläft. Ihr winziger Kopf lugt unter der Decke hervor, sie sieht ein wenig wie eine Außerirdische aus, wie E.T., findet Hans und lächelt zärtlich. Jetzt ist alles gut, Hans geht erleichtert zu den Plastiktüten zurück und trägt sie in die Küche. Morgen kaufe ich einen Kinderwagen, denkt er. Aber da fällt ihm ein, dass er sein ganzes Geld ausgegeben hat. Und dann fällt ihm der Weiterbewilligungsantrag ein. »Scheiße!«, flucht Hans und verharrt verzweifelt. Er schaut zum Wecker: zwei Uhr. Er kann kaum glauben, dass nur zwei Stunden vergangen sind. Wo ist dieser blöde Antrag? Er hat ihn sich das letzte Mal, als Frau Mohn ihn ins Arbeitsamt zitierte, mitgenommen. Er erinnert sich nicht. »Irgendwo muss er ja sein«, murmelt er und geht auf seinen Pfaden durch die Wohnung und findet den Antrag oben auf dem Fernseher unter einem Stapel alter Fernsehzeitschriften, die aktuellste ist zwei Monate alt. Seitdem schaltet Hans den Fernseher wahllos ein.
    Jetzt sucht er einen Kugelschreiber, es dauert eine Weile, bis er einen findet, der schreibt. Dann setzt er sich hin und füllt den Antrag aus. Als Erstes muss er seinen Namen und sein Geburtsdatum eintragen. Als ob die das nicht alles schon wüssten, denkt er. Dabei fällt ihm das Wort ›Bedarfsgemeinschaft‹ auf, das er bisher immer überlesen hat. Mit Felizia bildet er jetzt eine solche Gemeinschaft. Aber er darf sie nicht angeben, denn wenn alles richtig verlaufen wäre, denkt Hans und denkt wirklich das Wort ›richtig‹, dann wäre Felizia jetzt tot. Er verscheucht diesen Gedanken und geht zum nächsten Punkt über. Nein, seine Wohnanschrift und seine Telefonnummer haben sich nicht geändert, auch seine Bankverbindung ist immer noch dieselbe. Nein, seine E-Mail-Adresse hat sich nicht geändert, es gibt sie nach wie vor nicht. Hans trägt seinen Namen ein und alle Kontaktdaten. Ja, seine persönlichen Verhältnisse haben sich geändert, er ist nicht mehr seit achtzehneinhalb Jahren geschieden, sondern seit neunzehn, seine Kinder haben sich nicht mehr seit zwanzig, sondern seit zwanzigeinhalb Jahren nicht mehr bei ihm gemeldet. Aber er kreuzt ›Nein‹ an und muss diesen Kasten nicht weiter beachten. Seine Erwerbsfähigkeit? Hans stockt. Bisher hat er immer ›nicht erwerbsfähig‹ angekreuzt, und das ist einer der Gründe gewesen, weshalb Frau Mohn ihn immer wieder einbestellt hat. »Sie können nicht einmal drei Stunden pro Tag arbeiten?«, hat sie mit ihrer schnippischen Stimme gefragt, die immer ein wenig zu schrill klingt.
    Hans sieht sie vor seinem inneren Auge, wie sie hinter ihrem Schreibtisch thront, die falschen Locken, das feiste, runde Gesicht, die viel zu großen Ringe an den Fingern, eine dickliche, kurz geratene Person, die ihn mit routinierter Gnadenlosigkeit betrachtet. Er will es nicht wahrhaben, aber sie erinnert ihn an seine Frau. Er hat sich angewöhnt, in ihrer Gegenwart zu hinken und einen Buckel zu machen, doch es nützt nichts, denn entweder Frau Mohn durchschaut ihn oder sie ist unfähig, Mitleid zu empfinden. Jetzt überlegt Hans kurz, bevor er sich erneut für ›nicht erwerbsfähig‹ entscheidet. »Mit gutem Grund«, murmelt er und lächelt, weil er an Felizia denkt, die ihn jetzt braucht und für die er da sein wird. Beim nächsten Punkt taucht wieder das Wort ›Bedarfsgemeinschaft‹ auf. »Ihr wollt wissen, ob jemand bei mir eingezogen ist«, sagt er laut in den Raum hinein. »Kann man so sagen«, sagt er und lacht, und wieder kommen ihm die Tränen. Aber er muss weiter ausfüllen. Er kreuzt
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