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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition)
Autoren: Steven Uhly
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war, ging er in eine Schule, die warum einen Innenhof herum gebaut, den niemand betreten konnte. Es war einfach nur ein besonders breiter Lichtschacht. Aber eines Tages kam Leben in diesen Schacht, denn eine Elster war dort hineingeraten und kam nicht wieder heraus, weil sie so steil nicht aufsteigen konnte. Er lief mit einem Schulkameraden ganz aufgeregt zum Hausmeister, und der schloss ihnen eine schmale Tür zu dem Lichtschacht auf, die er sonst nur benutzte, um dort sauber zu machen. Sie rannten über die Kieselsteine zu der Elster hin und die Elster versuchte verzweifelt, ihnen zu entkommen, aber Hans ergriff sie von hinten und trug sie durch die Schule hinaus in die Freiheit. Und während er sie trug, fühlten seine Hände das Herz der Elster, ein kleines, ängstliches Vogelherz, das so schnell schlug, dass Hans sich wunderte, wie es das aushielt. »Eines Tages«, sagt Hans leise zu Felizia, »werde ich dich auch fliegen lassen. Hoffentlich erst, wenn du es schon kannst.« Er steckt den Brief an das Arbeitsamt ein und verlässt die Wohnung.
    Hans geht zum Lotto-Toto-Laden, der direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt. Dort hat er früher seine Zigaretten und Zeitschriften gekauft. Jetzt braucht er eine Briefmarke. Der Besitzer geht auf die siebzig zu, ein gepflegter Witwer. Sie kennen sich, seit Hans vor zehn Jahren hierhergezogen ist.
    Als Hans die Tür öffnet, bimmelt es, dann erscheint Herr Wenzel aus einem Hinterzimmer. Er geht sehr gebeugt, aber sein Gesicht mit den wasserblauen Augen und dem schlohweißen Haar ist klar und ebenmäßig. Er sagt: »Tag, Hans! Was führt dich her?« Herr Wenzels Blick fällt auf die Wölbung vor Hans’ Brust. Er sagt: »Wirst du jetzt schon dick vom Nixtun?«
    Hans lacht wie über einen guten Witz. Ohne länger zu überlegen, knöpft er seinen Mantel auf und sagt: »Schauen Sie einmal her!«
    Herr Wenzel beugt sich über die Theke, Hans dreht sich so weit zur Seite, dass der andere Felizias Gesicht sehen kann. Herr Wenzel reißt erstaunt seine wasserblauen Augen auf, und Hans fühlt einen Stolz, den er noch nie gefühlt hat, nicht einmal damals, als seine Tochter zur Welt gekommen war und die Verwandtschaft seiner Frau auflief, um das Kind zu begutachten. Da war er nur ein Anhängsel gewesen, während Mutter und Kind alle Aufmerksamkeit bekamen. Aber jetzt steht er hier und ist ein echter Großvater, echter als jeder andere Großvater, der sein Enkelkind nur leihweise haben darf.
    Nachdem Herr Wenzel Felizia begutachtet hat, blinzelt er Hans an und sagt: »Und wo ist die Mutter?«
    Hans schaut ihn verdattert an. Mit einer so direkten Frage hat er nicht gerechnet.
    Herr Wenzel sieht Hans direkt ins Gesicht, und als Hans nichts sagt, sagt er: »Dein Enkelkind, nicht wahr?«
    Hans erholt sich von seinem Schreck und nickt. Hastig sagt er: »Ja, stellen Sie sich vor, Herr Wenzel, meine Tochter ist zu Besuch aus Neuseeland, und da hat sie mir ihr Kind kurz dagelassen, weil sie ein paar Besorgungen machen muss, so war das.«
    Herr Wenzel nickt, als sei es genau so, wie Hans sagt. »Natürlich«, sagt er und lächelt freundlich. »Wie kann ich dir helfen?«
    Hans kauft ihm eine Briefmarke ab, frankiert den Brief und lässt ihn gleich da, denn um vier Uhr kommt der Postwagen am Lotto-Toto-Laden vorbei. Hans will jetzt nur noch weg, er murmelt eine Verabschiedung und wendet sich zur Ladentür, aber Herr Wenzel sagt: »Hans, wart noch eben!«
    Er kommt mit kleinen Schritten um die Theke herum und greift im Vorbeigehen nach einer Lokalzeitung, die auf einem ganzen Stapel liegt. Er rollt sie zusammen, gibt sie Hans und sagt: »Die ist heute sehr lesenswert, Hans. Ich schenke sie dir.«
    Verwirrt bedankt Hans sich. Herr Wenzel hat ihm noch nie eine Zeitung geschenkt, er hatte bislang sogar das Gefühl gehabt, dass Herr Wenzel ein wenig geizig ist, weil er jeden Cent Wechselgeld korrekt abrechnet. Hans verlässt das Geschäft mit der Zeitung in der Hand und geht schnell weg. Felizias Herz pocht gegen seine Brust, aber das alte Herz darin pocht jetzt auch schneller. Der hat mir nicht geglaubt, denkt Hans und malt sich aus, wie Herr Wenzel genau jetzt zum Telefon greift, um die Polizei zu verständigen.
    Hans bleibt auf dem Bürgersteig stehen. »Meine Tochter!«, sagt er laut. »So ein Schmarrn! Wie alt soll denn das Fräulein Tochter bitteschön sein? Zwanzig? Dreißig? Vierzig? Du Hornochse! Du Gockel, musstest ja groß auftrumpfen, du Rindviech!« Hans ist ganz außer
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