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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana
Autoren: Michael Moorcock
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auf, durch die er gekommen ist, begreift, daß er nicht hinaufspringen kann, ohne Fleisch und Wein zurückzulassen, schlüpft unter den Tisch und stört dort einen grunzenden Hanswurst auf, dessen sackförmige Bekleidung sauer nach Erbrochenem stinkt und dessen linke Hand in den Kleidern einer betrunkenen Colombine vergraben ist, die einen allzu starken Veilchenduft verströmt. Mit gekreuzten Beinen hinter diesen zweifelhaften Gefährten sitzend, Wein und Fleisch sicher an der Brust geborgen, beobachtet Jephraim unter dem unordentlich herabhängenden Tafeltuch hervor die Tür, durch welche schwerfälligen Schrittes einer gegangen kommt, den er erkennt, denn kein anderer würde zu so später Stunde einen solch prunkvollen und nutzlosen Brustharnisch tragen, wenn er nicht durch irgendein Zeremoniell dazu gezwungen wäre. Es ist Sir Tancred Belforest, der Held der Königin, unglücklich wie immer und in seiner Weise so unerfüllt wie die Königin, der er dient, denn Gloriana hat ihm das Versprechen abverlangt, daß er sich jeglicher Gewalt in ihrem oder im Namen der Ritterlichkeit enthalte. Sir Tancred bleibt stehen und blickt umher. Er stampft hinüber zu dem Spiegel, der das Kaminfeuer reflektiert. Er versucht die traurig herabhängenden Enden seines Schnurrbarts durch Zwirbeln und Wickeln um die Finger in eine kühnere Form zu bringen, und hat auch einigen Erfolg, aber nicht genug. Er seufzt, schreitet mit klirrenden Beinschienen zur Tafel und füllt sich, wie Jephraim vermutet, ein Glas Wein. Während Jephraim Gelegenheit hat, des edlen Ritters vergoldete Beinschienen mit den scharf zugespitzten Knien zu betrachten, hebt er seine eigene Flasche an die Lippen und folgt Sir Tancreds Beispiel mit einem Schluck oder zweien.
    Die Tür knarrt, und Tallow reckt den Hals, bemerkt zuerst einen Leuchter mit drei brennenden Kerzen, dann die Umrisse der jungen Frau, die ihn hält. Sie trägt einen voluminösen Umhang über ihrem kaum weniger voluminösen Nachtgewand. Ihr Gesicht ist im Schatten, scheint aber weich und jung zu sein. Darüber ist eine weitere Masse, eine Fülle von kastanienbraunem Haar. Diese junge Frau läßt ein energisches und ungeduldiges Seufzen hören. »Ihr zieht Euch allzu geschwind in unvernünftige Grämlichkeit zurück, Sir Tranced.«
    Sir Tancreds Montur knarrt und quietscht ein wenig, als er sich zu ihr wendet. »Ihr gebt mir die Schuld? Aber Ihr seid es doch, Lady Mary, die meine Umarmung verschmäht.« »Ich befürchtete nur eine Verletzung durch Euren Zierat und wollte anregen, daß Ihr Eure Panzerung ablegt, bevor Ihr mich in die Arme nähmet. Ich verschmähe nicht Euch, mein lieber Tancred, sondern Eueren Panzer.«
    »Diese Rüstung ist das Wahrzeichen meiner Berufung. Sie ist so sehr ein Teil von mir, wie meine Seele, denn sie enthüllt ihre Natur.«
    Lady Mary (Tallow vermutet, daß sie die jüngste der Perrott Töchter ist) kommt zur Tafel, und Tallow spürt ihre Wärme, als sie nahe an Sir Tancred herantritt. Tallow beginnt es nach ihr zu gelüsten, er überlegt ohne rechte Hoffnung, wie er sich ihr nähern und sie beschlafen könne. »Kommt jetzt mit mir, Tancred. Das alte Jahr ist vergangen, obwohl ich Euch geschworen hatte, daß es nicht zu Ende gehen würde, ohne uns in Liebe vereint zu sehen. So laßt uns, ich bitte Euch, wenigstens
    das neue Jahr im rechten Geist beginnen.«
    Der Hanswurst regt sich und stöhnt. Neuer Auswurf gurgelt in seiner Kehle. Er erbricht sich, beschmutzt wieder sein Kostüm. Darauf erneuert er seinen Griff in oder unter die Kleider seiner Colombine und fängt laut und selbstzufrieden an zu schnarchen, als wolle er die Liebenden stören.
    »Mein liebes Herz«, murmelt die junge Mary Perrott.
    Mein liebes Herz, denkt Tallow bei sich. Wahrhaftig!
    Mary ergreift Tancreds Hand und will ihn mit sich ziehen.
    Unfähig, die Regung zu unterdrücken, nimmt Tallow den Arm des Hanswursts und streckt ihn zum Fuß des Ritters aus, hält dessen eisernen Knöchel jedoch mit der eigenen Hand fest, so daß der Edelmann das Gleichgewicht zu verlieren droht, sich mit einem Ruck befreit, die unschuldigen Finger des Hanswursts am Boden sieht und sich die Mühe macht, sie mit dem metallbeschlagenen Schuh wieder unter den Tisch zu schieben. Tallow hat alles getan, was er nach Lage der Dinge vermochte, und sieht traurig den Liebenden nach, wie sie mit Geraschel und metallischem Geklapper hinaus zu Lady Marys Gemächern gehen.
    Froh, der Gesellschaft des Hanswursts ledig zu sein,
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