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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana
Autoren: Michael Moorcock
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Königin zu nehmen, und diese hat sie ermutigt; sie gibt die Hoffnung niemals ganz auf. Dramatische und phantastische Gegenmittel wurden eingesetzt, doch ohne Erfolg; die Königin, so geht das Gewisper, stöhnt und weint noch immer wie unter Qualen, denn sie findet keine Erfüllung. Selbst gewöhnliche Biertisch Spaßmacher scherzen nicht darüber, und nicht einmal die strengsten Puritaner verspüren die Neigung, aus ihrem Los eine Moral abzuleiten. Männer und Frauen sind grausam hingeschlachtet worden (wenn auch niemals mit Wissen der Königin), weil sie sich über den Kummer der Königin lustig gemacht hatten.
    Tag für Tag leitet Königin Gloriana in ihrer Schönheit und Würde, in ihrer Weisheit und Machtfülle die Staatsgeschäfte gemäß der selbstauferlegten Verpflichtung, die erste Dienerin ihres Volkes zu sein; Nacht für Nacht sucht sie das Vergessen, die Sorglosigkeit des völligen Aufgehens im Glück des Augenblicks, das sich ihr immer wieder hartnäckig entzieht, so nahe sie sich ihm auch manchmal wähnt. So sinkt sie zurück in quälende Frustration, in elenden Selbsthaß, Verwirrung und Gewissensbisse. Und jeden Morgen unterdrückt sie aufs neue allen persönlichen Kummer, um in ihren Pflichten fortzufahren, Akten zu lesen, Schriftstücke zu unterzeichnen, Konferenzen und Beratungen beizuwohnen, Gesandte und Bittsteller zu empfangen, Monumente zu enthüllen, Gebäude und Schiffe einzuweihen, an Zeremonien und Festlichkeiten teilzunehmen und sich ihrem Volk als das lebendige Symbol des Königreiches zu zeigen, die Garantin von Frieden und Sicherheit. Und am Abend empfängt sie ihre Gäste, plaudert mit den Höflingen, Freunden und Verwandten, die ihr am nächsten sind (einschließlich ihrer neun Kinder), um sich darauf wieder ihrer Suche und ihren Experimenten hinzugeben. Wenn diese, wie es unweigerlich der Fall zu sein pflegt, im Mißerfolg enden, liegt sie häufig wach, und bisweilen kommt es vor, daß sie ihrer quälenden Enttäuschung mit Worten Luft macht, nicht ahnend, daß die geheimen Gänge und hohlen Wände des alten Palastes ihre Stimme leiten und verstärken, so daß man sie bald hier und bald dort unvermutet hören kann. So nimmt der Hof der Königin teil an ihrem Kummer und an ihrer Schlaflosigkeit. »Ach, welches Verlangen! Nichts kann meine Leere ausfüllen, diese Qual ist zu groß! Jede andere könnte ich ertragen. Gibt es nichts, was meiner Not ein Ende machen könnte? Gibt es niemanden? Ach, könnte ich im Sterben nur einmal Erfüllung finden, ich würde willig jeden Schrecken auf mich nehmen … Aber dies ist Verrat. Wir sind der Staat. Wir dienen, wir dienen … Ach, gäbe es nur ein einziges Wesen in unserem Reich, das uns dienen könnte …«

    In seinem mächtigen Bett, unter weichen Decken aus Zobel und Biber, die in Seide gehüllten Arme um seine beiden Frauen gelegt, liegt Lord Montfallcon und lauscht diesen Worten, die als undeutliches Raunen und Flüstern an sein Ohr dringen, und weiß, daß sie aus dem Munde seiner Königin kommen, die vierhundert Meter entfernt in ihren Privatgemächern ist. Sie ist das Kind, die Hoffnung, die er mit verrücktem Idealismus durch all die schrecklichen Jahre der haarsträubenden Tyrannei ihres Vaters bewahrte. Er erinnert sich seiner loyalen Bemühungen, einen standesgemäßen, passenden Gemahl für sie zu finden, an sein Mißlingen und die unglücklichen Empfindungen, die ihn noch lange Zeit danach bedrückt hatten. Arme Frau, denkt er bei sich, wärst du doch nur Frau und nicht Albion. Wäre doch dein Blut nicht, wie es ist. Und er zieht seine Frauen enger an sich, damit ihr Haar seine Ohren bedecke und er nicht mehr hören müsse, denn er ist müde diesen Abend und will zur Ruhe kommen, dieser brave Alte, ihr Kanzler.

    »… nichts kann mich zerstören. Nichts kann mich zum Leben erwecken. Ist es schon seit tausend Jahren so? Dreihundertfünfundsechzigtausend mühselige und vergeudete Tage und Nächte …«

    Jephraim Tallow, Ausgestoßener und Zyniker, auf der Schulter eine kleine schwarz-weiße Katze, die sein einziger Freund ist, hält in seinem Vorwärtsschleichen inne und lauscht in den Gang, der ihn zur Speisekammer der Gesindeküche führen soll, denn auch er hat die Worte vernommen. »Liederliches Weibsbild! Immer in Hitze, nie am Kochen. Ich schwöre, eines Nachts werde ich zu ihr schleichen und sie bedienen, wenn nicht zu ihrer Befriedigung, dann zu der meinigen!« Die Katze miaut leise, um ihn an sein Vorhaben zu erinnern,
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