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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana
Autoren: Michael Moorcock
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und um ihre Selbstgenügsamkeit beneidet werden. Frömmler und selbstgerechte Wichtigtuer werden sie von manchen genannt, und für einige mag das zutreffen, vor allem für diejenigen ohne Humor und Ironie. Die anderen aber, Adlige und Kaufherren, Priester und Gelehrte, Schiffskapitäne und Offiziere, folgen einem Code, mögen sie noch so individualistisch und sogar exzentrisch sein: Sie alle dienen der Nation und dem Königreich (verkörpert durch ihre Königin) um jeden Preis für sie selbst, sollte die Notwendigkeit es erfordern, sogar mit ihrem Leben; denn der Staat ist alles, und die Königin ist gerecht. Erst in zweiter Linie würden sie in irgendeiner Angelegenheit ihr persönliches Gewissen zu Rate ziehen, denn alle eigenen Ent scheidungen ordnen sie den Bedürfnissen des Staates unter. So ist es in Albion nicht immer gewesen, galt niemals in dem Maße wie jetzt, da Gloriana regiert; denn diese Leute, die durch ihre Anstrengungen das große Reich im Gleichgewicht erhalten und zu einer zusammenhängenden Einheit machen, die seine Stabilität gewährleisten, hängen dem Glauben an, daß es nur einen Faktor gebe, der diesen Gleichgewichtszustand auf die Dauer zu erhalten vermag: die Königin selbst.
    Der Kreis der Zeit hat sich gedreht, vom goldenen Zeitalter zum silbernen, vom silbernen zum eisernen und nun, mit Gloriana, wieder zurück zum goldenen.
    Gloriana I. Königin von Albion, Kaiserin von Asien und Virginia, ist eine Herrscherin, die von vielen Millionen Untertanen als eine Göttin geliebt und verehrt und von vielen weiteren Millionen auf der ganzen Erde bewundert und respektiert wird. Für die Theologen (ausgenommen die radikalsten unter ihnen) ist sie die einzige Vertreterin der Götter auf Erden, für den Politiker ist sie die Verkörperung des Staates, für den Dichter ist sie Juno, für das einfache Volk ist sie Mutter; Heiliger und Bösewicht sind in ihrer Verehrung für sie vereint. Wenn sie lacht, frohlockt das Reich; wenn sie weint, trauert die Nation; wäre sie bedürftig, so würden Tausende sich erbötig machen, dem Mangel abzuhelfen; wäre sie zornig, so würden Hunderte bereitstehen, um an dem Gegenstand ihres Zornes Vergeltung zu üben. Und so wird ihr eine beinahe unerträgliche Verantwortung aufgebürdet: Auf allen Ebenen ihres Lebens muß sie Diplomatie üben, Bittsteller und Würdenträger mit der gleichen freundlichen Aufmerksamkeit anhören, darf keine Gemütsbewegung zeigen und keine Forderungen stellen. Unter ihrer Regierung hat es niemals eine Hinrichtung oder eine willkürliche Einkerkerung gegeben. Korrupte Beamte wurden ermittelt und entlassen, Gerichtshöfe in Stadt und Land sprechen für die Armen und die Mächtigen gleiches Recht. Viele, die gegen den Buchstaben des Gesetzes verstoßen haben, werden freigelas sen, wenn die Umstände ihrer Vergehen von solcher Art sind, daß ihre Harmlosigkeit offensichtlich ist; so ist gegen die Ungerechtigkeit des Präzedenzurteils Abhilfe geschaffen. In Stadt und Land, in Metropole und Kolonie wird das Gleichgewicht durch die Person dieser edlen und menschlichen Königin aufrechterhalten.
    Königin Gloriana, einziges Kind des Königs Hern VI. (eines Despoten und verkommenen Menschen, der den Staat verraten und das Vertrauen seines Volkes mißbraucht hatte, der hunderttausend Köpfe rollen ließ, bevor er sich schließlich unmännlich durch Selbstmord aus dem Leben stahl), aus dem alten Geschlecht des Elficleos und des Brutus, der den Gogmagog stürzte, ist sich stets der Zuneigung ihrer Untertanen bewußt und erwidert sie; dennoch ist ihr diese empfangene und gegebene Zuneigung eine Last – eine so große Bürde, daß sie ihr Vorhandensein kaum zugeben kann, und die außerdem eine der Hauptursachen ihres großen persönlichen Kummers ist. Nicht daß dieser Kummer dem Königreich unbekannt wäre; in den Adelssitzen wird darüber ebenso geflüstert wie an den Klerikerschulen oder in gewöhnlichen Wirtshäusern, während Dichter in wolkigen Formulierungen (ohne Bosheit) darauf Bezug nehmen und ausländische Feinde überlegen, wie sie ihn zur Förderung der eigenen Zwecke ausnutzen möchten. Alte Klatschbasen sprechen gar vom ›Fluch Ihrer Majestät‹, und gewisse Metaphysiker behaupten, der auf der Königin liegende Fluch sei ein Symbol des Fluches, der auf der gesamten Menschheit liege (oder vielleicht auf dem Volk von Albion, wenn sie auf echte oder vermeintliche Mißstände hinweisen wollen). Viele haben versucht, den Fluch von der
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