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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana
Autoren: Michael Moorcock
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… ohne – oder doch fast ohne Schuldbewußtsein …«
    »Nachbildung!« Montfallcons heftige Stimme klang überlaut durch die Gewölbe. Er wandte sich halb zur Seite, um die Schattengestalt zu betrachten, die sich nun, beim Klang seiner Stimme, zu regen begann. »Ihr alter Dummkopf! Das ist eine lebendige Frau.«
    »Nein, nein, nein, Montfallcon«, keuchte Dee. »Es kann keine Zwillingsschwester geben. Niemals war davon die Rede, oder ich hätte es erfahren. Und alle waren bei der Geburt zugegen, nicht wahr?« Ein Lächeln ging plötzlich über seine entstellten Züge. »Aber vielleicht von einer anderen Welt, wie mir einmal träumte? Ist das der Ort, wo Quire sie erwarb?« »Es gibt nur diese Welt«, erwiderte Montfallcon. Er stampfte einige Schritte weiter, um sich auf den Block zu stützen. »Tölpel! Es ist die Mutter!«
    »Flana?« Dr. Dee versagte die Stimme. »Flana … starb bei der Geburt!«
    »Nein. Ich war Zeuge ihrer Vergewaltigung und neun Monate später des Resultats. Sie war vierzehn, als sie die Königin zur Welt brachte. Wir wurden alle gezwungen zuzusehen – bei den Ereignissen. Hern war stolz auf sich. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm Flana, die meine Tochter war. Flana?« Die Schattengestalt stöhnte.
    Gloriana erhob sich. Sie hatte kein Verlangen, diese Ge
    schichte zu hören. Und alle Beteiligten entsetzten sie. Montfallcon fuhr fort:
    »Auf diesem Stein vergewaltigte er meine Tochter, und auf diesem Stein vergewaltigte er meine Enkelin. Beide Male mußte ich zugegen sein. Das Blut war immer schlecht, auf allen Seiten. Das weiß ich jetzt. Ich suchte das Wissen aus meinem Bewußtsein zu brennen. Ich setzte meine ganze Willenskraft dafür ein, daß Gloriana auf den Thron käme. Aber das Blut war schlecht. Jetzt ist es vorbei. Ich bin zerstört, bei allen verhaßt, weil ich Albion liebte. Die Geschichte wird sich Eures treuesten Dieners als eines Schurken erinnern, Majestät.« Gloriana stand erstarrt, unfähig, ein Wort über die Lippen zu bringen.
    Montfallcon winkte der verrückten Frau. »Komm, Flana. Komm zu deinem Vater und deiner Tochter.«
    Die verrückte Frau kam zögernd näher. Ihre Bewegungen waren von sonderbarer Anmut. Ihre Gestalt sah jugendlich aus, wie es bei Geistesgestörten bisweilen der Fall ist, doch war ihr Gesicht verwüstet, und ihr strähniges, wirres Haar, kastanienbraun wie das ihrer Tochter, war von weißen Strähnen durchzogen.
    »Hier ist sie«, sagte Lord Montfallcon. »Nach Eurer Geburt, Majestät, floh sie in die unbewohnten Teile des Palastes und hielt sich dort auf, bis Quire sie einfing, mit Drogen betäubte und Dr. Dee überließ, im Austausch gegen seine Geheimnisse und seine Zaubertränke. Dies alles fiel ihm nicht schwer, weil die arme Frau seit vielen Jahren verwirrt ist. Ich hätte es erfahren, weigerte mich aber aus den gleichen Gründen wie Ihr, die Wände ausforschen zu lassen. Ich verbarg die Tatsache von Flanas Existenz vor mir selbst. Sie liebte Euch. Vielleicht tut sie es noch immer. Liebst du deine Tochter, Flana?«
    »Nein«, sagte die verrückte Frau mit undeutlicher, lallender Stimme. »Sie ist böse gewesen, sie hat ihren einzigen wahren Freund verbannt.«
    Montfallcon sagte: »Sie beobachtete aus ihrem Versteck in den Wänden, wie Hern Euch vergewaltigte. Er wartete, bis Ihr genau das gleiche Alter erreicht hattet, und vergewaltigte Euch an Eurem Geburtstag. Erinnert Ihr Euch, Majestät?«
    »Während der Hof zusah«, murmelte sie. »Ich erinnere mich wohl. Mutter …«
    Die verrückte Frau eilte zu Montfallcon, der sie beim Arm nahm. »Knie nieder!« befahl er.
    Sie widersetzte sich nicht. Sie blickte in ihres Vaters Augen. In die Augen ihres Helden. Lächelnd gehorchte sie.
    Ihr Kopf ruhte auf dem Block, und Montfallcon hob das Schwert, ehe Gloriana aufschreien konnte. »Nein!«
    Der Bihänder sauste herab. Der Kopf der verrückten Frau sprang mit einem Blutschwall von den Schultern. Dr. Dee stieß ein Röcheln aus und sank zurück, beide Hände an die Brust gepreßt. Gloriana hatte ihn vergessen; den stieren Blick unverwandt auf das blutige Schwert gerichtet, wich sie zurück, die Stufen hinauf, die zum Thron führten. »Euer eigenes Fleisch«, stieß sie hervor. »Warum?«
    »Verderbtes Fleisch«, erklärte Montfallcon mit schrecklichem Gleichmut. Er legte das Schwert wieder über die Schulter und blickte auf sein Opfer herab. »Sie hätte sterben sollen, als die übrigen Mädchen starben. Doch um ihr Leben zu retten, ging sie auf
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