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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi
Autoren: Leonie Swann
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Wind vom Meer wehte, war von seinem Geruch glücklicherweise nichts zu bemerken.
    Heide fasste den unerhört kühnen Entschluss, sich den Metzger aus der Nähe anzusehen. Die verdutzten Blicke der anderen Schafe folgten ihr den Hügel hinab.
    »… da gibt es Zusammenhänge«, sagte der Metzger. »Überall Zusammenhänge, Seelenwanderung und solche Dinge. Ich lese jetzt viel, damit ich die Zusammenhänge verstehen kann, wissen Sie.« Er drehte den Kopf und sah Heide mitten ins Gesicht, halb verlegen, halb neugierig und sehr respektvoll. Vielleicht nickte er auch ganz leicht mit dem Kopf, wie zum Gruß. Heide vergaß vor Überraschung, eine furchtlose Miene zu machen, und starrte den Metzger verdutzt an.
    Rebecca zuckte mit den Achseln. »Warum nicht? Sie waren so lange mit ihm zusammen. Da kann ich mir schon vorstellen, dass ein bisschen was von George in den Schafen steckt …«
    Heide warf dem Metzger einen frechen Blick zu, dann trabte sie zurück zur Herde. Respektvolle Schafe erwarteten sie. Der Metzger und Rebecca schüttelten die Hände, dann rollte der Metzger zur allgemeinen Erleichterung wieder Richtung Asphaltstraße. Das Leben konnte weitergehen.
     
    *
    Und das tat es. Die Schafe machten sich wie gewohnt im Morgengrauen an die Arbeit und grasten bis in die Nachmittagsstunden. Dann versammelten sie sich für das Vorlesen um den Schäferwagen. Anschließend wurde wieder gegrast, bis sie sich in den Heuschuppen zurückzogen. Ein geregeltes Schafsleben.
    Sie dachten gerne an George zurück und waren ihm dankbar für das Testament. »Er war doch ein guter Schäfer«, sagte Cloud.
    Alle Schafe achteten George’s Place. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sich dort an Kräutern oder Gräsern zu vergreifen. Dennoch wurde George’s Place auf unerklärliche Weise immer kleiner und kleiner.
    »Das liegt daran, dass alles ein Ende hat«, erklärte Zora.
    Eines Morgens, als die anderen Schafe noch schliefen, stahl sich ein runder weißer Fleck aus der schützenden Umarmung der Herde und schlich zu den Klippen. Mopple the Whale stand lange vor Zoras Felsvorsprung und dachte nach. Dann machte er einen Schritt nach vorne. Noch einen. Zora konnte es. Einen dritten. Melmoth konnte es auch. Vier. Fünf. Er hatte dem Metzger ins Gesicht gesehen. Sechs, und Mopple stand endlich auf Zoras Felsen. Vorsichtig senkte er den Kopf, um von den Kräutern des Abgrunds zu kosten.
     
    *
    Öfter als früher bildeten sich beim Grasen kleine Grüppchen, die sich über ihre Erlebnisse austauschten.
    »Es war ein Trick«, sagte Cordelia.
    »Kein Schaf darf die Herde verlassen«, sagte Sir Ritchfield.
    »Außer, es kommt zurück.«
    »Manchmal ist Alleinsein ein Vorteil«, stichelte Melmoth.
    »Es war eine Liebesgeschichte«, blökte Heide und wackelte triumphierend mit den Ohren.

24
    Rebecca klappte das Buch mit einem Knall zu. Das war neu. Die Pamela-Romane waren aus weichem, dünnem Papier gewesen und hätten nie so einen stattlichen Knall zustande gebracht. Die Papierzeitungen sowieso nicht. Willow, die in der letzten Reihe eingeschlafen war, riss die Augen weit auf und drehte dann dem Schäferwagen schweigend den Rücken zu. Die anderen sahen Rebecca erwartungsvoll an.
    »Das ist das Ende«, erklärte Rebecca. »Morgen fangen wir etwas Neues an.«
    Die Schafe machten enttäuschte Gesichter. Jetzt, nachdem die ganzen Schrecken überstanden waren, konnte es doch erst so richtig interessant werden. Was würden Heathcliff und Catherine erleben, wenn sie über die Heide streiften? Warum erzählte jetzt niemand mehr, wie das Moor roch, wenn ein Regenschauer über es hinweggefegt war? Irgendwie musste es doch weitergehen!
    Aber Rebecca saß einfach nur auf der obersten Stufe des Schäferwagens und dachte nicht daran weiterzulesen. Ihre Hand strich sanft über Tessys Kopf, und Tess wedelte ganz schwach mit dem Schwanz. Man konnte sehen, dass es das erste Schwanzwedeln seit langer Zeit war.
    Eines Morgens hatte Rebecca Tess in einem Auto zurückgebracht. Tess mit fremden, traurigen Augen. Die Hündin war nicht wie sonst über die Weide gestürmt. Sie sprang auch nicht um den Schäferwagen und suchte nach George. Tess verschwand in Rebeccas Schatten und folgte ihrem roten Rock überallhin, so wie ein sehr junges Lamm seiner Mutter folgt.
    »Schlafenszeit«, sagte Rebecca.
    Die Schafe sahen sich an. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, die Schatten waren nicht länger als zwei Galoppsprünge, und die tägliche Weide- und Wiederkäuarbeit
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