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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi
Autoren: Leonie Swann
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er begonnen, unter den aufmerksamen Blicken der Menschen darüber nachzudenken, wie wohl so ein Guinness schmeckte.
    Die Schafe blinzelten in den Tabaksqualm. Langsam wurde ihnen die Stille unheimlich. Zora spähte unruhig nach allen Seiten. Rauch füllte den Saal wie ein besonders bösartiger Nebel. Und irgendwo in diesem Nebel machte sich ein Raubtier zum Sprung bereit.
    Doch kein Raubtier sprang. Langsam verwitterte die Stille. Zuerst hörte man einzelne Stimmen aus den hinteren Reihen, wo die Touristen saßen. Fragen und leises Lachen. Jemand stand auf und schob Ham wieder an seinen Platz zurück. Bald summte der ganze Saal wie ein Bienenstock. Der Moment der Aufmerksamkeit für die Schafe war vorüber, und die Gerechtigkeit war nirgends herausgekommen.
    Der Bebrillte, der Othello »Satan« genannt hatte, trat wieder auf die Bühne. Die Schafe flüchteten vor ihm die hintere Rampe hinunter. Dort gruppierten sie sich, um zu beobachten, ob vielleicht doch noch irgendetwas Entscheidendes geschehen würde.
    »Applaus für Peggy, Polly, Samson und den schwarzen Satan, die uns heute gezeigt haben, dass auch Schafe etwas von modernem Theater verstehen«, sagte der Bebrillte.
    Der Applaus war bestenfalls halbherzig, aber die Schafe hatten das Gefühl, dass hauptsächlich der Bebrillte gemeint war, nicht sie.
    »Sehr verehrte Damen und Herren. Gerade haben Sie erlebt, wie die begabtesten und geistreichsten Schafe von Glennkill um Ihre Gunst gespielt haben. Nun liegt es an Ihnen …«
    Hinten, am anderen Ende des Saals, bewegte sich etwas. Beth kam langsam den Hauptgang herauf. In ihren Händen hielt sie, zärtlich wie ein Mutterschaf, den Lappen, den Mopple verloren hatte. Beth hatte ihn aufgefaltet, und selbst durch den Schmutz hindurch konnten die Schafe zwei rote Zeichen auf weißem Grund erkennen.
    Beth schritt schnurgerade und unbeirrt auf die Tribüne zu, als würde sie einer geheimen Witterung folgen. Sie ging so ruhig und aufrecht, dass es eine Freude war, ihr zuzusehen.
    Vor der Bühne blieb sie stehen.
    Der Bebrillte blickte irritiert zu Beth hinunter.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Beth. »Ich würde gerne etwas sagen.«
    »Muss das denn jetzt sein«, zischelte der Bebrillte zu ihr hinunter.
    »Ja«, sagte Beth.
    Der Bebrillte zuckte mit den Achseln.
    »Meine Damen und Herren«, sagte er, jetzt wieder laut, »wir unterbrechen diese Sendung für eine Ansage der Charity.«
    Seine Hand machte eine einladende Geste, aber Beth kam nicht zu ihm auf das Podest. Sie setzte sich einfach auf den Bühnenrand und strich Rock und Tuch mit ihren Fingern glatt.
    »George«, sagte sie, »ich will euch etwas über George erzählen.«
     
    *
    Von da an war es mäuschenstill im Saal. Der Trick mit der Aufmerksamkeit, den weder der Bebrillte noch die Schafe wirklich fertig gebracht hatten – Beth schaffte ihn mühelos. Dabei führte sie kein Kunststück auf, sie saß nur still am Bühnenrand und sprach. Manchmal ließ sie ein wenig die Beine baumeln, manchmal streichelten ihre Finger behutsam über das Tuch.
    Das Tuch war ihr anscheinend wichtig, obwohl es stank. Zuerst sprach sie gar nicht über George, sondern nur über das Tuch.
    »Das habe ich ihm geschenkt«, sagte sie. »Vor Ewigkeiten. Ewigkeiten. Es war so leicht. Eine ganze Nacht lang habe ich daran gestickt. Ich wusste schon vorher ganz genau, wie es aussehen würde. Und am Morgen kam es mir so vor, als könnte ich schweben, alles tun, alles sagen. Es war …« Beth zögerte einen Moment lang, vielleicht, um ihre Stimme wieder einzufangen, die immer weicher und weicher geworden war und nun in Gefahr stand, sich ganz aufzulösen. »Gut.«
    Einige Leute begannen zu murmeln.
    »Und dann kam der Moment, und ich habe doch nichts gesagt, ihm nur stumm das Tuch in die Hand gedrückt. Er hat mich ein bisschen verständnislos angesehen, und ich konnte nichts sagen und nichts tun. Nie mehr. Es ist mir vorhin klar geworden, als ich es wieder gesehen habe, dass das die Schuld meines Lebens ist – nicht das andere.«
    Die Schafe konnten sehen, wie Beth ein Schauer vom Nacken über das Rückgrat in die Glieder kroch. Das Scheinwerferlicht um sie herum sah auf einmal sehr kalt aus.
    »Vorletzten Sonntag, spätabends, klopfte es an meiner Tür. Ich war noch wach, also habe ich aufgemacht, und vor mir stand George. Ich habe angefangen, ihm etwas über die Frohe Botschaft zu erzählen, wie jedes Mal, wen wir uns gesehen haben. Immer habe ich über die Frohe Botschaft
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