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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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stehen auf, um es zu schützen.
    In der Beltane-Nacht erwachten diese alten Geschichten zum Leben. Den Fluss entlang loderte vor jedem Haus ein Feuer ins Graurot der Dämmerung. Für Sarah würde es auf alle Zeit so aussehen, als hätte ein Reicher seine Kerzen angesteckt.
    Sandy Og , hatte sie gefragt, als sie nach Glencoe gekommen war. Es war ihr schwergefallen, ihm Fragen zu stellen, aber diese war ihr wichtig gewesen. Sandy Og, warum sagen die Leute, Glencoe ist das Tal im Schatten?
    Sagen sie das?
    Ja, bei uns drüben. Und in Breadalbane.
    Bei euch drüben? »Bei euch« ist jetzt hier, Sarah. Du bist eine aus Glencoe.
    Eine aus Glencoe zu sein war so aufregend gewesen, dass ihr das Herz bis hinauf in den Hals hüpfte und sie auf die Antwort verzichtet hatte. Sie sah es ja selbst: Glencoe war eine schartige Narbe in den schwärzesten Bergen Lochabers, und die Sonne fand ihren Weg hinein nur schwer. Wollte sie sich nicht in das Nadelöhr bei Loch Leven zwängen, vorbei an der Toteninsel, so musste sie durch das Moor von Rannoch waten, wo Scharen versunken waren, oder über die Nordwand steigen, Aonach Eagach, deren Pass des Teufels Stiegenhaus genannt wurde, weil er tödliche Fallen barg. Hatte die Sonne sich mühsam ins Tal gewunden, so floh sie des Abends früh wieder hinaus, während sie in Glenlyon auf den Hängen liegen blieb und sich behäbig räkelte, ehe sie sich davonstahl.
    Für gewöhnlich sagte auch Sandy Og nichts mehr, wenn Sarah schwieg. Dieses Mal aber hob er, ohne dass sie ihn nötigte, noch einmal an: Hör nicht hin, wenn sie schlecht von Glencoe reden, Sarah. Glencoe ist eben eng. Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger etwas an, das schmaler war als ein Hochzeitsring. Die Sonne hat’s nicht einfach hier. Aber Glencoe ist ein gutes Tal.
    Er hatte recht. Glencoe mochte im Schatten liegen, aberseine Weiden waren fett und saftig, die Wasser fischreich und die Männer gefürchtet. Von den Felsen stürzten hundert Bäche in den Fluss . Wenn Glencoe das Tal im Schatten ist, sagte Sandy Og, dann schüren wir eben Feuer, die die ganze Nacht brennen. Wie wenn einer in seinem Haus die Kerzen ansteckt, oder nicht?
    Sarah hatte die Feuer der Wächter betrachtet und zu Sandy Og gesagt: Das muss ein Reicher sein, der so viele Kerzen hat.
    Wahrhaftig, es musste ein Reicher sein, auch jetzt noch, nach zehn Jahren. Wir hatten es doch gut , dachte Sarah. Auch wenn wir zwei Schweiger vor dem Herrn sind, wenn er die Lippen nicht aufbekommt und ich die Zähne nicht auseinander, haben wir auf unsere eigene Weise doch geredet. Erst als uns Unaussprechliches geschah, hörten wir zu reden auf. Das, was keinen Namen haben darf, hat uns stumm gemacht.
    Schneller als erwartet verschlang die Dämmerung das Tal. Im sich verdichtenden Zwielicht loderte die Kette kleiner Lichter. Die Feuer, die heute brannten, waren keine Wächterfeuer, sondern die Flammen der Beltane-Nacht. In ihnen erhitzten die Frauen von Glencoe Steine, um auf ihnen Bannocks zu rösten, Haferkuchen in runden Scheiben, die man später brach und in Rahm tunkte, um sie zu Ehren wilder Tiere zu verspeisen. Dazu würden sich alle in den Kreis setzen, jede Hausherrin stellte Korb und Rahmtopf bereit, und reihum tauchte jeder ein Gebäckstück ein. Noch triefend führte er es zum Mund, und ehe er hineinbiss, rief er: »Diesen Bannock zu Beltane verspeise ich für dich, Fuchs, der du klüger bist als alle Geschöpfe. Lass es dir wohl ergehen, und fall mir nicht in mein Hühnerhaus, auf dass mein Tisch gedeckt sei wie der deine.« Oder: »Für dich, Wolf, sei dieser Bannock verzehrt. Grauer Bruder, wenn unsere Pfade in den Wäldern sich kreuzen, lass uns ohne böses Blut, wie Edelleute, du deines und ich meines Weges ziehen.«
    So ging es, bis der Korb mit dem Backwerk fast leer war; nur ein einziger, mit einem Kreuz gekennzeichneter Bannock blieb für jeden Haushalt übrig. Der musste fest wie Stein geknetetsein, da ihn der Hausherr am Ende des Festes einen Hang hinunterrollte, um die Zukunft seiner Familie zu deuten: Wie der Bannock rollte und auftraf, so verlief im Folgejahr das Leben. Sarah schüttelte sich. Sie hatte vor Jahren beim Bannockrollen entsetzlich versagt und seither nicht mitgetan, aber heute wollte sie es wieder wagen, heute sollte alles richtig sein. Nach all der Zeit entdeckte sie in sich noch immer den kindischen Wunsch, zu denen aus Glencoe zu gehören, zu sein wie sie.
    Wie die übrigen Frauen teilte sie vom Teig in der irdenen Schüssel einen
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