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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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warfen sie in die Höhe, umarmten ihre Frauen, drückten sie an warme Leiber, bargen sie wie Schätze und ließen sich durch Küsse, zärtliche Klapse und neckische Knüffe dafür belohnen, dass sie die Herden über den Winter gebracht hatten.
    Sarah stand auf dem Stein und sah mit ihren scharfen Augen alles, auch den einen, der nichts bekam: keinen Kuss, keinen Strich durchs Haar. Wer den Haufen der Glencoe-Männer betrachtete – den stattlichen John und das goldblonde Brüderpaar von Larroch –, der mochte Sandy Og nicht bemerken. Wer aber genauer hinsah, übersah ihn nicht: Sandy Og, das Haar wie ein Blutbuchenwald, die Augen so dunkelblau wie keine Nacht. Sandy Og, immer halb verborgen hinter einem anderen, seinem schönen Bruder oder den blonden Larrochs, und doch von allen der Schönste. Sandy Og, allein und abseits wie der uralte Calum, klammheimlich schön. Mein Sandy Og.
    Er würde von ihr enttäuscht sein. Wie immer. Sie hatte alles anders machen wollen, aber sie hatte nichts anders gemacht, und er würde auch nichts anders machen, sondern wortlos die Enttäuschung schlucken. Sein Kind, Duncan Kurzbein, war das einzige, das nicht zu seinem Vater rannte. Stattdessen drängte es sich zwischen die Vettern, die John umringten, erkämpfte einen Platz und wurde weggestoßen. Die Krücke glitt seitwärts, Duncan verlor das Gleichgewicht und stürzte aufs Gesicht. Geschieht dir recht , zwang sich Sarah zu denken und griff sich dennoch ans Herz.
    »Jetzt seht alle her!«, rief die Hebamme. Sie riss Eiblin den in Leinen gewickelten Säugling aus den Armen und stemmte ihn auf beiden Händen in die Höhe. »Am großen Morgen von Beltane hat uns die Kraft der Erde ein Knäblein geschenkt.«
    Die MacDonalds von Glencoe waren getaufte Katholiken, in Carnoch und auf der Eilean Munde standen Kapellen, und wer Zeit fand, hörte sonntags die Messe. All das Getue von der Kraft der Erde war überlebter Humbug, doch weil er so alt und vertraut war, tat er wohl wie der Glaube, in den Gipfeln schliefen Helden der Fianna, um beim Ruf von Finns Horn zu erwachen und das Tal vor Gefahr zu schützen. »Seht ihn euch an, den wonnigen Brocken!«, rief Mairi und zerrte dem Kind die Tücher herunter, bis es splitternackt an ihrer Brust lag. Lustvoll klatschte sie ihm auf die Hinterbacken, dass es zu brüllen anhob, doch sie selbst überstimmte den Säugling: »Was für ein Riese! Was für ein würdiger Spross für den Stamm des MacIain! Und wieder eine Frucht von den Lenden seines Sohnes John.«
    Und wieder eine Frucht von den Lenden seines Sohnes John. Sarah sah nicht nur die Hebamme, die mit dem Säugling auf den Armen niederkniete und sich über den Saum des Flussausläufers beugte, nicht nur die Frauen und Kinder, sondern auch die Männer, die sich aalten und plusterten, um Liebkosungen einzuheimsen. Nur der meine steht still, als heimse er Ohrfeigen ein , erkannte Sarah. Sie beobachtete, wie Ceana ihren Tanz unterbrach und zu Sandy Og hinüberging. Sie blieb vor ihm stehen, schenkte ihm ihr Lächeln und sprach zu ihm mit ihrer streichelnden Stimme.
    Sarah wollte nicht vor Tränen blind sein, keinen Druck im Kopf spüren, der ihr die Augen aus den Höhlen sprengte. Sie sollte sich freuen, dass eine andere ihren Mann tröstete, während sie Bannocks buk wie jede brave Frau aus Glencoe. Danach würde sie zu Sandy Og laufen, aber bis dahin war es doch gut, wenn seine Milchschwester ihn tröstete. Oder durfte eine Schwester ihrem Bruder keinen Trost spenden?
    Und warum braucht dein Mann Trost? , röhrte es mit dem Blut in ihren Ohren. Unwillig wandte Sarah sich ab und sah zu Mairi, die ihre Arme mit Eiblins Söhnchen zu den Wellen senkte. Der Säugling brüllte. Zu Beltane war die Probe nicht sograusam wie im Winter, aber das Wasser des Coe blieb auch im Mai eiskalt.
    Während des Bruchteils eines Herzschlags, in dem das brüllende Menschenbündel über dem Wasser schwebte, erinnerte sich Sarah. Auf einmal war nicht mehr Mai, sondern ein ferner Dezember, und nicht Eiblins Sohn wurde in die Flut getaucht, sondern Duncan, Sarahs Sohn.
    Die Verantwortlichen – Ranald vom Schild, der MacIain und die Tacksmen – hatten das armselige Häuflein der Probe nicht unterziehen wollen. Es war ohnehin nicht gesund, würde nie Chief werden, auch nicht wenn alle Erben vor ihm starben. »Nimm dein Kindchen und zieh’s auf, solange der Herrgott es dir lässt«, hatte der MacIain ihr geraten. »Uns Männern mag das Wurm nichts taugen, aber ich
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