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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition)
Autoren: Franz Hohler
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stand, und wählte die Nummer. Besetzt.
    Der Kugelschreiber und der leere Block neben dem Apparat verlangten nach einer Notiz.
    Zeitung? Post? schrieb sie untereinander. Sie hatte die Zeitung für 14 Tage abbestellt und die Post zurückbehalten lassen. Morgen würde sie sich überlegen müssen, ob sie daran etwas ändern wollte. Hierbleiben, als ob sie gar nicht da wäre, schien ihr auch ganz reizvoll, ins Kino gehen, wozu sie sonst meistens zu müde war, und ins Hallenbad, oder in ein Konzert. Ihre Schwester wohnte im Toggenburg und sprach manchmal mit einem gewissen Neid davon, wie toll es sein müsse, in der Stadt zu wohnen, mitten im großen Vergnügungskuchen, wie sie sich ausdrückte, und Isabelle fragte sich dann, ob sie eigentlich von diesem Kuchen genügend esse. Das Tessin kam ihr in den Sinn, ihr Cousin und seine Frau hatten dort ein Ferienhaus, im Verzascatal, hatten sie schon einmal dorthin eingeladen und wurden nicht müde, ihr das Haus für einen Aufenthalt anzubieten, wann immer es sie gelüste. Sie war aber nicht ganz sicher, ob sie sich dort entspannen konnte, denn es musste alles genau so sein, wie es sich ihr Cousin vorstellte, an jeder zweiten Schranktür klebte ein Zettel mit Anweisungen für die Gäste, die Benützung von Dusche, Kochherd und Waschmaschine war an ganz bestimmte Regeln geknüpft, die mit 1., 2., 3. aufgeführt wurden, es galt, zusätzliche Hahnen und Vorsatzventile auf- und nach Gebrauch wieder abzudrehen, sodass Isabelle das Gefühl hatte, sie würde die Zeit vor allem mit dem Lesen und Verstehen von Gebrauchsanleitungen verbringen. Aber es gab ja auch hübsche Hotels und Pensionen.
    Tessin? schrieb sie unter Zeitung und Post.
    Erneut wählte sie die Nummer ihrer Tochter. Besetzt. Wenigstens war sie da. Manchmal fragte sie sich, was in den endlosen Telefongesprächen ihrer Tochter mit ihren Freundinnen und Freunden alles besprochen werden musste. Wer mit wem, und wer nicht mehr mit wem, und warum es gar nicht anders kommen konnte, und was man sich besser vorher überlegen würde, und wohin man jetzt ging, und warum es da besser war als dort, wo man vorher hinging, und die Wortwahl vibrierte zwischen Location, mega, shit und affengeil, Isabelle hatte sich das öfters angehört, als Sarah noch bei ihr wohnte. Vor einem Jahr war sie in eine WG mit zwei Studienkolleginnen gezogen. Sie hatte ein Jus-Studium angefangen, und Isabelle wartete vergeblich darauf, dass sich ihr Vokabular dadurch etwas versachlichen würde.
    Das Handy am Ladegerät klingelte. Entschlossen stand Isabelle auf, ging ins Badezimmer, drückte den Empfangsknopf und meldete sich mit »Hallo?«
    Eine Männerstimme antwortete mit »Hallo.«
    Als darauf nichts Weiteres folgte, fragte Isabelle: »Mit wem spreche ich, bitte?«
    Im Hintergrund waren Geräusche zu hören wie in einem Restaurant, und nach einer Weile knackte es, und die Verbindung brach ab.
    Noch während sie auf den blauen Himmel und die Wölklein des Grundbildes starrte, ging das Telefon im Wohnzimmer. Sarah war am Apparat und fragte sie erstaunt, ob sie denn nicht in Italien sei. Isabelle erzählte ihr, was dazu geführt hatte, dass sie zu Hause geblieben war, auch dass sie dabei sei, das Handy des Verstorbenen aufzuladen und dass sie soeben einen Anruf für ihn entgegengenommen habe. Das sei ja aufregend, sagte ihre Tochter, und ob sie schon nachgeschaut habe, von wem der Anruf sei. Wie sie denn das könne, fragte Isabelle. Aber Ma, sagte Sarah, so wie ich gesehen habe, dass du mich erreichen wolltest. Aufs Menü gehen, runterfahren zum Symbol für Anrufe, anklicken, und dann hast du’s. Mit dem Hörer in der Hand ging Isabelle ins Badezimmer, bat Sarah, einen Moment zu warten, legte den Hörer hin, tat dann, was sie ihr geraten hatte, nahm danach den Hörer wieder hoch und sagte: »Anonym«.
    »Aha«, rief Sarah, »der will nicht, dass man ihn zurückrufen kann! Wenn’s wieder klingelt, nimm nicht ab.«
    Isabelle sagte, so werde sie es machen, und sobald das Handy fertig aufgeladen sei, werde sie es zur Polizei bringen. Das sei sicher das Beste, fand Sarah, und ob sie mitkommen solle. Sehr lieb, sagte Isabelle, aber das sei nicht nötig. Sie werde ihr Bescheid geben, wenn sie sich entschieden habe, ob sie in den vierzehn Tagen noch verreise.
    Kaum hatte sie aufgelegt, als sich das Handy im Badezimmer erneut meldete.
    Isabelle ging hin und drückte ohne zu überlegen auf das kleine grüne Telefonzeichen: »Hallo?«
    »Hallo«, sagte die
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