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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition)
Autoren: Franz Hohler
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pasta e vino, und hob das Glas vor sich in die Höhe. »Prost Barbara«, sagte sie, trank dann einen Schluck und machte sich hungrig über die Nudeln her.
    Als sie die Hälfte gegessen hatte, hörte sie aus dem Korridor ihr Handy klingeln. Sie erhob sich, ging zur Garderobe und holte den Apparat aus ihrer Manteltasche. Er war ausgeschaltet. Nun merkte sie, dass das Klingeln aus ihrem Koffer kam, der immer noch ungeöffnet dastand. Sie kippte ihn auf den Boden, kniete nieder, machte ihn auf und sah zuoberst die Mappe, die sie im Zug zum Flughafen schnell hineingelegt und dann in der ganzen Verwirrung vergessen hatte. Jetzt verstummte das Klingeln, aber es gab keinen Zweifel, dass es aus der Mappe gekommen war, denn ein zweites Handy besaß sie nicht.
    Isabelle bekam eine Gänsehaut. Da war ein Anruf für einen Toten. Und sie hatte nichts damit zu tun. Vorsichtig nahm sie die Mappe heraus, erhob sich und legte sie auf den Hocker, der im Gang stand. Sie blieb einen Moment stehen. Nein, die Mappe ging sie nichts an. Gleich nach dem Essen würde sie damit zur Polizei fahren und sie abgeben. Sie ging zurück in die Küche, setzte sich vor ihren Teller, aber sie hatte keinen Hunger mehr. Dann stand sie auf, ging wieder in den Korridor, öffnete den Reißverschluss der Mappe, spreizte sie mit der linken Hand auseinander und angelte neben einer Zeitung das Handy heraus, ein weinrotes Sony Ericsson, dieselbe Marke wie ihr eigenes. Wenn man nicht wusste, wer der Tote war, dachte sie, dann wäre ein eingeschaltetes Handy eine wichtige Spur. Sie entsperrte es, und auf dem Display, das nun aufleuchtete, sah sie als Erstes das rote Signal bei der Ladungsanzeige. Würde der Akku zusammenbrechen, wäre bestimmt auch der Code weg, den niemand kannte, und ohne Code wäre das Gerät nicht mehr zu gebrauchen. Gar nichts hatte sie tun wollen, und nun tat sie doch etwas. Sie holte ihr Ladegerät, steckte es in das Handy des Fremden ein, es passte, und schloss es dann an die Steckdose im Badezimmer an, die sie sonst für den Haarföhn benutzte. Sogleich bewegte sich auf dem Bild das Zeichen für den Ladevorgang.
    Isabelle setzte sich nochmals vor ihren Teller in der Küche, trank aber nur einen Schluck Wein. Wenn sie nichts mit dem Toten zu tun hatte, wieso lud sie dann sein Handy auf? Klar war, dass dies sofort getan werden musste, denn bis sie auf dem Polizeiposten wäre, wären die Funktionen des Geräts vielleicht schon erloschen und der Kontakt mit dem Umfeld des Mannes verloren. Isabelle stützte den Kopf in ihre Hände. Es ging sie eben doch etwas an. Sie hatte erste Hilfe geleistet, und nun musste sie auch zweite Hilfe leisten.

3
    Da Isabelle nicht recht wusste, was sie mit dem Rest des Tages anfangen sollte, hatte sie begonnen, ihren Koffer wieder auszupacken und stand gerade mit drei Blusen vor ihrem Kleiderschrank, als sie das Handy im Badezimmer klingeln hörte. Sie legte die Blusen auf ihr Bett, eilte ins Badezimmer und blieb dann zögernd stehen. Wieder wollte jemand den Toten anrufen. Den Toten, nicht sie. Sie ging dieser Anruf nichts an. Aber wer immer es sein mochte, er sollte wissen, dass der Angerufene tot war. Sie griff nach dem Handy, drückte auf die grüne Empfangstaste und hob das Gerät an ihr Ohr. Zu spät, der Anrufer hatte aufgehängt.
    Isabelle ärgerte sich. Das wäre eine Spur zum Verstorbenen gewesen. Sie hätte geholfen, zu klären, wer er war. Ein bisschen seltsam war es ja schon, dass jemand herumlief, ohne irgendein Dokument bei sich zu tragen. Dann dachte sie daran, wie sie einmal noch schnell die Jacke gewechselt hatte, bevor sie wegfuhr, und bei der Kontrolle in der Straßenbahn weder ihre Monatskarte noch irgendeinen Ausweis dabeigehabt hatte. Natürlich war so etwas möglich, aber dennoch schien es ihr merkwürdig, wenn sie an diesen Mann dachte. Er hatte nicht ausgesehen, als ob er noch schnell die Jacke gewechselt hätte.
    Wer mochte der Anrufer sein? Oder die Anruferin? Und wie würde sie reagieren, oder er, auf die Nachricht, dass der Angerufene tot war? Es wäre nicht das erste Mal, dass sie jemandem mitteilen müsste, ein Angehöriger sei gestorben. Im Altersheim kam das immer wieder vor. Aber da waren die Söhne und Töchter darauf gefasst, und man wusste von allen Bewohnern, wer zu verständigen sei.
    Das Handy war noch nicht fertig aufgeladen.
    Auf einmal kam ihr in den Sinn, dass ihre Tochter noch nicht Bescheid wusste. Sie setzte sich ins Wohnzimmer, wo ihr Telefon auf einem Tischchen
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