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Girl

Girl

Titel: Girl
Autoren: David Thomas
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lassen, und«
    Ich brachte den Satz nie zu Ende, weil der Gesichtsausdruck der Schwester von Verblüffung in blankes Entsetzen umgekippt war. Die Kinnlade klappte ihr runter. Die Tasse rutschte ihr aus der Hand und zerdepperte am Boden. Aber sie bemerkte nicht einmal, wie ihr der brühendheisse Tee über die Beine spritzte. Sie keuchte nur, »O mein Gott«, und dann noch einmal, »O Gott… o Gott«, bevor sie beide Hände vor den Mund legte, mich ein letztes Mal ansah und dann durch den Vorhang davon schoss, als sei Jack the Ripper hinter ihr her.
    Etwa fünf Minuten später war sie in Begleitung eines zu kurz geratenen Kerls im Zweireiher wieder da. Er sah nach der Sorte Typ aus … na ja, ich verstehe ein wenig vom Verkauf, und von so einem würde ich nie einen Gebrauchtwagen kaufen. Ach was, so einer könnte mir nicht einmal einen Tretroller andrehen.
    Er deponierte ein Klemmbrett am Fussende meines Bettes. Dann rückte er sich die Krawatte zurecht, hüstelte leise, ruckte mit dem Kopf hin und her wie ein aufgescheuchtes Huhn und streckte eine Hand vor. »Guten Morgen, Miss … äh, Mister … ähm … also … Bradley. Mein Name ist Ludgate, Stephen Ludgate. Ich bin der stellvertretende Chefarzt (Bereich operative Massnahmen) hier am St. Swithin’s Hospital Trust. Wie ich erfahren habe, hat es wohl eine Art von… Missverständnis gegeben.«
    »Keine Ahnung«, sagte ich neugierig. »Klären Sie mich auf.«
    »Nun, ja«, begann er, während er seine Blicke durch die Kabine kreisen liess, um mich auch ja nicht ansehen zu müssen, »also, wie soll ich sagen?« Er gab wieder sein geziertes Hüsteln von sich. »Lassen Sie mich erklären … Wir hier am St. Swithin’s fühlen uns zu einem erstklassigen Dienst am Kunden verpflichtet. Heutzutage betrachten wir die Menschen, die unsere Einrichtung in Anspruch nehmen, nicht als Patienten, sondern als Kunden.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber ich sehe nicht recht, was…«
    »Aber natürlich, gewiss, komm zur Sache, Ludgate.«
    Auf der Stirn des Mannes war nun tatsächlich ein dünner Schweißfilm zu sehen. Ich verstand das Signal. Er überlegte krampfhaft, inwieweit er mich belügen sollte. »Also, raus mit der Sprache«, sagte er schliesslich. »Sie wurden gestern Morgen gegen acht zum Zwecke einer Kieferbehandlung bei uns eingeliefert…«
    »Das ist richtig.«
    »Wie ich allerdings Ihrem Personalbogen entnehme, hat man Sie einer Reihe, äh, andersgearteter Eingriffe unterzogen, wobei ich davon ausgehe, dass die Eintragung korrekt erfolgte, insofern die entsprechenden Massnahmen allem Anschein nach auch durchgeführt worden sind.«
    Wovon zum Teufel faselte der Kerl?
    »Was versuchen Sie mir da eigentlich zu erklären?« fragte ich.
    Ludgate hätte sich noch eine Nackenverletzung zugezogen, wenn er weiterhin meinem Blick auszuweichen versucht hätte. Er starrte in hektischer Folge abwechselnd auf den Boden, meinen Nachttisch und eine Fliege, die am Fussende meines Bettes den Vorhang hinaufkrabbelte.
    »Sie wurden nicht an den Weisheitszähnen operiert«, sagte er. »Bedingt durch eine Reihe von Faktoren, die im Augenblick noch nicht ganz geklärt sind, scheinen Sie eine Brust VerGrößerung, Penis-Sektomie, Kastration, Vaginalplastik und verschiedene andere urogenitale Veränderungen erhalten zu haben.«
    O Jesus… ich hörte wieder dieses Rauschen und hatte ein Flimmern vor den Augen. Mit dem Bewusstsein ringend, klammerte ich mich mit beiden Händen an die Bettkante, während Ludgate sagte: »Ich glaube, im Medizinerjargon nennt man das einen … äh … kompletten Abwasch. Aber um es ganz einfach zu sagen, in Begriffen, die wir alle verstehen … die Sache ist, also … ganz offen gesagt… Sie hatten eine Geschlechtsumwandlung.«
    12. November
    Mum und Dad sind heute aus Manchester zu Besuch gekommen. Dad sagte nur: »Tag, mein Junge«, und sass dann den ganzen Nachmittag schweigend da, als sei er unlängst dem Trappistenorden beigetreten. Mum war das genaue Gegenteil, sie redete wie ein Wasserfall über das Wetter, ihre Geranien Zucht, unsere Nachbarin Mrs. Bryson, deren Katze gestorben war, und dass meine Schwester Kate ihre besten Grüsse ausrichten liess und hoffte, mir werde es bald wieder besser gehen.
    »Bald besser gehen?« sagte ich. »Wie soll es mir bald besser gehen? Irgendein Schwein hat mir den Schwanz abgehackt. Wer, bitteschön, soll das wieder gutmachen?«
    »Hey, Bradley, hüte bitte deine Zunge in Gegenwart deiner Mutter«, sagte Dad.
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